Diese Partie gab es noch nie und die Vorfreude auf ein Spiel in der Seestadt vor großer Kulisse war vor der Saison riesig. Mit Haltern am See verbindet man als zugezogener „Ruhrpottler“ schon einiges: Als Kind über den zugefrorenen See geschliddert, als Jugendlicher und Heranwachsener Seebad und Silberseen mit Freunden erobert und auch die eine oder andere Radtour durch die Haard mit einem Kasten günstigster Hopfenkaltschale im Gepäck hatte das idylische Haltern zum Ziel. Eine Fußballtour war aber leider bislang nicht darunter, spielte der städtische Klub der TuS Haltern viele Jahre ein wenig unter dem eigenen fußballerischen Radar.
TuS Haltern fast mit Sensation gegen RWE. Aber vorbei ist, wenn es vorbei ist!
Mit dem Durchmarsch (seit 2016) von der Landesliga Westfalen 4 (siebte Liga) bis in die Regionalliga (vierte Liga) schob sich Haltern ins Blickfeld. Ein Spiel in der Stauseekampfbahn gegen einen der Zuschauermagneten der Regionalliga West stand fest auf dem Wunschzettel und hätte was gehabt, aber der Verband und die Regularien machten dem einen Strich durch die Rechnung. Die sogenannten Risikospiele muss der TuS Haltern auf fremdem Geläuf austragen. Leider.
Als ob Fans aus Aachen oder Essen ständig wild marodierend und plündernd durch die Städte ziehen. Dabei ist teilweise das Gegenteil der Fall, wie Spiele im Landespokal zeigen. Bei einem Pokalkick von Rot-Weiss Essen 2013 beim SV Hönnepel-Niedermörmter („der Acker bebt“) im Kreis Kleve sorgten die Auswärtsfans nicht nur für ein gut gefülltes Stadion, sondern auch dafür das Grill und Bierstand gut liefen. Am Ende gab es ein gemeinsames friedliches Fußballfest und dass obwohl der Favorit aus dem Ruhrgebiet das Spiel verlor und aus dem Pokal ausschied.
Trotzdem heute keine Reise über die A43 oder mit RE2 Richtung Norden, dafür ein Spiel direkt „umme“ Ecke jedenfalls für die Essener Fans. Sollte das Spiel bereits am 1. Dezember in der Mondpalast Arena in Wanne Eickel über die Bühne gehen, machte die Unbespielbarkeit des Platzes (gegen die U23 von Schalke 04 holperte sich RWE am selben Ort wenig zuvor zum einen Unentschieden) dem Gastgeber einen Strich durch die Rechnung. Neues aktuelles Ausweichstadion: Das Lohrheidestadion die frühere Heimat der SG Wattenscheid 09 (die SGW zog sich ja aus finanziellen Gründen zurück). Ein Katzensprung für die Essener Fans, die auch teilweise mit dem Rad anreisten ein etwas weiterer Weg für den TuS Haltern. Aber ein teurer Spaß für beide Seiten: Kostete beispielsweise ein Sitzplatz bei Spielen der SGW nur 14 Euro, verlangt der TuS Haltern nun 21 Euro.
Man hätte das Spiel gleich im Dezember in die Lohrheide legen können, aber so kommt die Verlegung des Spiels dem Team aus der Seestadt natürlich sehr gelegen, konnte man sich doch in der Winterpause gut verstärken und spielt bisher eine gute Rückrunde vor allem gegen die direkten Konkurrenten. Am 19. Spieltag, dem eigentlich Matchday, hatte Haltern gerade einmal zwei Pünktchen Vorsprung auf die Abstiegsränge. Aktuell sind es sogar schon sechs und die Hoffnung einen oder sogar drei Punkte im Spiel des Jahres (wie so oft für die „Underdogs“) für den TuS mitzunehmen waren groß. Groß war auch die erzeugte Spannung kurz nach der von RWE kritisierten Spielabsage zwischen den Klubs, nachdem der Marketingleiter der Halterner via Facebook ein wenig gegen Rot-Weiss Essen zurück stichelte. Die Spannung scheint sich aber über die Winterpause gelegt zu haben, denn zur Begrüßung und zur Einstimmung spielten die Haltener vor Spielbeginn den RWE-Klassiker „Adiole“, den die vielen Essener Fans im Stadion gesangstechnisch dankend annahmen. Danach folgte noch der Wattenscheider Klassiker „SG Wattenscheid 09“, als Dank für die zahlreich erschienen „neutralen“ Wattenscheider Zuschauer unter den insgesamt 3.200 Fans und dann war aber Schluss mit gemütlicher Stimmung.
Das Spiel begann mit zehnminütiger Verspätung aufgrund des Zuschauerandrangs und der wenigen geöffneten Kassen und die Essener Fans beteiligten sich ebenfalls am derzeitigen Protest gegen den DFB und seinen Kollektivstrafen sowie gegen den Mäzen von Hoffenheim und zeigten vor Anpfiff der jeweiligen Halbzeiten entsprechende Spruchbänder, so dass eine Unterbrechung des Schiedsrichters nicht notwendig gewesen wäre. Dieser unterbrach die Partie auch nicht, als in der zweiten Halbzeit derbe Schmähgesänge gegen den Fußballverband angestimmt wurden zu nervenaufreibend war auch das Geschehen auf dem Platz.
Sportlich bestimmte Rot-Weiss Essen die Partie und hatte von Beginn an die besten Chancen, aber wie in so vielen Spielen belohnte sich der Klub nicht für seine Mühen. Im Gegenteil, er wurde bestraft. Wieder einmal durfte der vermeintliche „Außenseiter“ in Führung gehen (25. Spielminute). Berkant Canbulut im Winter von der SG Wattenscheid 09 an den Stausee gewechselt jubelte zusammen mit den Haltern und Wattenscheid Fans, die Farben sind ja gleich geblieben (schwarz und weiß). Wenig lief in der Folge bei Essen zusammen, so dass Haltern die Partie locker mit einer gehörigen Portion Zeitspiel in die Halbzeit rettete.
Mittels Zeitspiel und überflüssigen unsportlichen Verhalten versuchte Haltern dann in der Folge den Essener Spielfluss zu stören. So behinderten die Halterner Ersatzspieler (insbesondere Christoph Kasak, der auch die Wandtapetensprache der Fans zu beherrschen scheint) die RWE-Spieler bei Ausführung von Ecken, indem sie den Ball wegschlugen und am Eckpunkt störten. Hier hätte man sich vom sonst gut agierenden Schiedsrichtergespann noch ein wenig mehr farbiges Kartenspiel gewünscht. Dabei hätte der TuS doch so ein Verhalten gar nicht nötig, hatte er doch tatsächlich die besseren Konterchancen in Halbzeit zwei auf seiner Seite. So wäre ein Sieg am Ende nicht unverdient gewesen. Essen kann sich bei Pfosten (Emre Yesilova), Latte (Berkant Canbulut) und dem Linienrichter Leonidas Exuzidis bedanken, dass Haltern nicht höher in Führung gegangen ist. Denn Timo Gansloweit hatte schon Elfmeter für den TuS nach einem angeblichen Foul von Jona Hildebrandt gepfiffen, wurde aber vom Linienrichter überstimmt.
Das Spiel zog sich zum Ende hin und Haltern im Spiel des Jahres versuchte den Sieg über die Zeit zu retten. Von den Essener Fans halte es von der Tribüne "Schießen einfach schießen" und dann in der 88. Spielminute als niemand mehr damit rechnete knipste der Essener Neuzugang Maximilian Pronichev zum 1:1 Endstand per Direktschuß, denn trotz fünfminütiger Nachspielzeit schaffte Essener nicht mehr den Dreier. Zu schwach und ideenlos im Spielaufbau, zu ungenau die Pässe und Flanken. Eines der schlechtesten Saisonleistungen von Essen. RWE hatte einfach kein Rezept gegen stark aufspielende Seestädter und am Ende viel Glück.
Die Saison aber abzuschreiben, wie das lokale Sportblatt? Dafür ist es eindeutig zu früh. Die Saison geht noch ein paar Runden, und: Vorbei ist es erst, wenn es vorbei ist. Am kommenden Sonntag reist Rot-Weiss Essen nach Bonn, Zeit einiges, wenn nicht sogar alles besser zu machen.
> zu den Rot-Weiss Essen Fotos
- Lohrheidestadion