Gornik Walbrzych vs. Zaglebie Sosnowiec: Pöbel-Festival und das Schlesier Ehrenmal

M Updated 16 August 2013
Gornik Walbrzych vs. Zaglebie Sosnowiec

PolskaAuf der Suche nach Rübezahl. Der polnische Teil der Sudeten bildete bislang noch einen weißen Fleck auf der persönlichen Fußballlandkarte für Polen. Nun gibt es dort jedoch auch nur zwei Vereine, die in dieser Ecke einen Besuch lohnen. Der eine spielt in Jelenia Gora (Hirschberg) und steckt derzeit in den unteren Niederungen des polnischen Fußballs fest, der andere ist in der 120.000-Einwohnerstadt Walbrzych (Waldenburg; so ungefähr spricht man das aus: Waubtschych) beheimatet. Die Anhänger von Gornik Walbrzych liefen mir zwar mit Sicherheit bereits gelegentlich über den Weg, wenn sie einen ihrer Freunde unterstützten, aber im „Original“ wurde der Verein bisher noch nicht gesehen. 

Die 2. Liga West bietet für ein sinnvolles Abhaken des Grounds kaum Möglichkeiten, daher war es schon fast zwingend notwendig dort beim Spiel gegen Sosnowiec vor Ort zu sein. Sosnowiec? Seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen! Einmal bei einem Heimspiel erwischt, ein anderes Mal auswärts. Es damals ziemlich überraschend, was die Jungs so melodisch auf dem Kasten hatten. Ganz anders verhält es sich dort mit Walbrzych, die bisher eher als „Haudraufs“ und durch Fahnen wie zum Beispiel „Gods of War“ aufgefallen sind. Ein Blick in die Abfahrtstabellen brachte eine doch recht zeitige Ankunftszeit in Walbrzych. Aber das ist dort kein Problem. Es gibt viel zu sehen in dieser Stadt und sie zieht sich auch sehr lang, so dass man, wenn man zu Fuß unterwegs ist, doch einige Zeit mit einem ausgiebigen Spaziergang herumkriegen kann.

StettinUnd wie heißt es immer so schön an Silvester? „The same procedure as every year“. Gleiches gilt durchaus beim Fußball! Der Wochenendausflug begann wieder in Szczecin. Passend dazu gab es das Abschlussfeuerwerk des Hafenfestes. Szczecin Glowny hatte jetzt für mich wieder zwei Überraschungen parat. Es gibt nun ein System aus Barrieren, welche den Fahrgast zu den Schaltern führt. Ein Lautsprecher blökt dann alle paar Minuten eine Zahl, welche eigentlich auch so nicht zu übersehen ist und auch noch rot leuchtet. Blinden bringt das gar keinen Vorteil und anderen Reisenden auch nicht. Nur gehen einem das ständige Rufen „Elf. Neun. Neun. Elf. Elf.“ irgendwann völlig auf die Nerven. Am Schalter will der PKP-Mitarbeiter zwar wissen, wohin die Reise geht, aber die dafür benötigte Reservierung kostet keinen Zloty!

Im Gegensatz zu unserer Bahn ist die PKP noch relativ fair, was die Preisgestaltung angeht. Aber so gemütlich und günstig wie früher kann man jetzt nicht mehr reisen. Als man noch zwischen Bimmelbahn und D-Zug wählen konnte, waren die Züge außer zur besten Ferienzeit nie so richtig überfüllt. Nun ging es noch bis Poznan ganz gut. Danach war bis Wroclaw die Kabine mit acht Leuten ausverkauft. Hinter Wroclaw sieht es dann schon wieder anders aus. Der Zug rollt in Walbrzych ein und plötzlich hört man die ersten Gesänge! Nachdem sich Zawisza Bydgoszcz (Freundschaft mit Gornik Walbrzych) auf der langen Fahrt ruhig verhalten hatte, konnten sie jetzt in Sicherheit ein paar Lieder anstimmen.

Neun Stunden vor Anstoß muss man in Liga 3 noch nicht am Stadion sein und so zieht es mich zunächst in den Stadtteil Nowe Miasto (Neustadt). Es wirkt hier etwas trist. Viele Straßenhunde laufen herum. Kurz vor 9 schläft noch fast alles. Später werden hier einige Hools und viele andere Gestalten auf den Bürgersteigen zu sehen sein. Wenn jene nicht ausgerechnet gegenwärtig erneuert werden würden. Das ist die polnische Planung, die ich in der Form mag. Da steht ein Schild: Bitte Bürgersteig auf der anderen Seite nutzen. Auf der anderen Seite wird aber dieser auch neu gemacht bzw. wurde durch Paletten zugestellt. Dann müssen die Leute am Rand einer viel befahrenen Hauptstraße laufen! Ich verlasse nun die Stadt und wandere durch die Berge.

TotenburgFür Polen, das landschaftlich nicht soooo viele Highlights zu bieten hat, sieht das hier schon richtig schick aus. Mittelgebirgsland und durch Nebel wie von einem weißen Schleier eingehüllte Nadelwälder. Bis zum Rübezahl kann es nicht mehr weit sein. Nun stehe ich vor einem Bauwerk, welches man hier Mausoleum nennt und wenigen in Deutschland noch als Schlesier Ehrenmal oder Totenburg Waldenburg geläufig ist. Eine verwahrloste Treppe führt zu einem Aufmarschplatz. Daran schließt sich ein Atrium, welches von zahlreichen Freunden des Vandalismus heimgesucht wurde. Es gibt hier nirgends Schilder, die ein Betreten der Anlage verbieten! So muss das sein. Für jeden zugänglich auf eigene Gefahr und nicht von Privatperson X oder Bunkerverein „sowieso“ aufgekauft und dann gegen eine Gebühr zu besichtigen.

TotenburgMitte der 30er Jahre entstand hier im Rahmen des Totenkults eine Gedenkstätte für die zirka 170.000 gefallenen schlesischen Soldaten des Ersten Weltkriegs und die ersten gefallenen Nationalsozialisten. Für die Waffen-SS hatte die Anlage auch eine große ideologische Bedeutung. Nur der Rübezahl wird noch wissen, was hier mal im Detail ablief. Ehrenhaine für Soldaten findet man bekanntlich hierzulande auch noch, aber eben nicht in diesem Ausmaß. Ein massiv gebauter Quader enthält mit Mosaiken verzierte Bogengänge. In der Mitte befand sich eine Säule mit vier Löwen, die eine Schale mit dem ewigen Feuer bewachten. Auch unter der Erde geht es weiter. Es gibt heute zwei Zugänge, an denen gute Kletterer ihre Freude haben. In totaler Dunkelheit erstrecken sich Korridore, welche viele Räume verbinden. Hier war bestimmt Platz für knapp 100 Sarkophage. Die ganze Anlage kam übrigens ohne ein einziges Hakenkreuz aus.

Alt FürstensteinDurch den schmalen Eingang geht es wieder zurück ins Freie und auf den Weg zurück in die Stadt. Wieder komme ich durch Nowe Miasto. Überall gibt es Grüppchen mit Leuten, die ganz klar nach Fußball aussehen. An einer Wand steht „Gornik Walbrzych Hooligans & Sudety (Sudeten)“. Für Romantiker der alten polnischen Fan- und Hooligankultur muss das hier ein Paradies sein. Der schmuddelige Teil hört kurz vor dem Bahnhof Walbrzych Miasto auf. Die Zeit lässt es noch zu, dass die Füße die 8 Kilometer bis zum Schloss locker hin und wieder zurück bewältigen können. Das Schloss Fürstenstein, welches an diesem Tag wieder gut besucht wurde, ist aber nur Beifang und nicht Objekt der Begierde. Die alte Burg „Alt Fürstenstein“ war ehemals eine spätmittelalterliche Festung, welche dann später zur künstlichen Ruine ausgebaut wurde. Ansehnlich ist sie dennoch mit Vorburg, Hauptburg, Ornamenten und Gängen. Der Weg dorthin ist der Horror für ahnungslose Hobbywanderer. Vom Schloss aus muss man wieder ins Tal und über einen Fluss. Der schmale Pfad birgt einige Gefahren wie rutschige Steine oder Wurzeln sowie umgestürzte Bäume. Außerdem geht es an der einen Seite zirka 20 Meter in die Tiefe.

PolizeiDie Sonne knallt erbarmungslos auf dem Weg zurück in die Stadt. Eine Kolonne von Polizeiautos rauscht vorbei. Sie sammeln am Bahnhof die Reisegruppe aus Sosnowiec ein und geleiten sie zum Stadion. Um 9:30 Uhr trafen sie sich schon zur Zugfahrt. Eine Kaution in Höhe von 20 Zloty war zusätzlich zum Fahrpreis zu entrichten. Eine halbe Stunde vor Anstoß waren die 230 Fans dann bereits fast auf ihren Plätzen. Zuerst muss aber noch eine Karte her. Für zehn Zloty (zirka 2,20 Euro) kann man hier schon polnischen Drittliga-Fußball schauen. Die Frau an der Kasse fragt sogar nach einer Ermäßigung. Das Ticket muss man selbst ausfüllen, was eine enorme Entlastung für Kassierer und Käufer ist. Da sieht man mal, wie sinnlos das System mit den Fancards ist. Am Eingang wird dann kurz geprüft, ob die Daten passen, und schon ist man drin. Das hat weniger als eine Minute gedauert. Da können einige noch etwas lernen von Gornik Walbrzych! Sosnowiec ist drin. Gornik & friends auch (teilweise kostenneutral). In der Mitte sitzt das Publikum, welches Gornik die Daumen drückt und sich an dem Spektakel erfreuen möchte.

Mit dem Anstoß gehen bei Gornik alle Arme nach oben und es schallt laut „Weiß-Blau“! Der Support wird nur durch Sosnowiec unterbrochen. Der Mob ordnet sich und beginnt mit einer zehnminütigen Pöbelorgie gegen Gornik und dessen Verbündete. Zu 100 Prozent war alles unter der Gürtellinie und Gornik begab sich auch auf dieses Niveau, ehe es dann wieder mit „Guuuuurniik *klatsch, klatsch, klatsch* Waubtschych“ weiterging. Sosnowiec dagegen machte erst mal eine Pause bis zum Pausenpfiff. Aber von dem bisher Gezeigten war die Lautstärke enorm. Die 230 Gäste (darunter 11 Leute von Legia Warszawa) steckten in dieser Kategorie die 400 Heimfans locker in die Tasche. Die Heimseite bildete ein bunter Mix aus Gornik, Gwardia Koszalin, Zawisza Bydgoszcz, Polonia Swidnica (40 Mann) und Slavia Praha. Letztgenannte haben jedoch seit diesem Tage keine offizielle Freundschaft mehr.

PolenAuf dem Platz wird derweil das Tor des Tages erzielt – nicht nur das einzige, sondern auch ein sehr schönes. Aus 25 Metern schlenzte der Spieler den Ball nach einem Alleingang ins Netz. In der zweiten Hälfte brachte Gornik eine solide Leistung. Es hing ein wenig von Zaglebie ab. War Zaglebie still, dann war auch der Support der Jungs hinter der schicken Fahne „Wir werden treu sein bis zum letzten Atemzug“ auf einem eher ruhigen Level. Zwischendurch wurden auch mal die Schals gezeigt und gehüpft – das Übliche eben. Am Ende gab es auch etwas mit Melodie zu hören. Zum einen war es leider zu leise, zum anderen wurde die Melodie aaus der Bundesliga geklaut. Früher gehörte es zum Standard, jetzt freut man sich schon über ein „Meine einzige Liebe ist Zaglebie, wir sind heut mit Dir“. Gepöbelt wurde im Anschluss auch wieder fleißig. Von Gornik kam unter anderen: „Zaglebie-Tauben, Sosnowitzer Hunde!“ (Sosnowiec ist bekannt durch die Brieftauben, außerdem wirkt ja eine Taube auch alles andere als männlich), woraufhin Zaglebie mit „Schmutzfinken, Schmutzfinken!“ antwortete, was sich auf die Tatsache bezieht, dass um Walbrzych herum Kohle gefördert wurde. Zwischendurch dann immer wieder reichlich Repertoire unter der Gürtellinie. Das Ganze war durchaus unterhaltsam, aber dieses gewisse Knistern in der Luft hatte etwas gefehlt.

Auf dem Platz gibt Zaglebie alles, aber es reicht nicht. Nach Abpfiff kommen die Spieler sofort zum Gästeblock, aus dem es lautstark schallt: „Ob ihr gewinnt oder nicht, ich liebe euch auch so, in meinem Herz ist Zaglebie – im Guten und Schlechten“. In einem sachlichen Gespräch wird die Leistung ausgewertet und man kommt zu dem Entschluss, dass Zaglebie mehr trainieren muss. Es wird eine neue 3. Liga geben und dafür muss man sich qualifizieren. Sportliches Fazit: Gornik spielt nun oben mit, Sosnowiec muss zusehen, dass sie aus dem Tabellenkeller wieder herauskommen.

Ein letzter Blick in dieses schüsselartige Stadion und dann ging es ganz gemächlich zum Bahnhof. Dort wartete bereits die Polizei. Es war nun klar, dass die Gäste auch in meinem Zug sein werden. Dunkel wurde es und dann tauchte der Tross auf. Die normalen Reisenden erstarrten beim Anblick von Zaglebie und beobachteten das Schauspiel. Nur eine Frau zetert herum, weshalb die jetzt ausgerechnet in ihrem Zug sein müssen. Das war mit das beste, was Sosnowiec zu bieten hat. Der Zug erarbeitete sich durch die Fans eine gute halbe Stunde Verspätung. In Wroclaw gab es noch etwas Aufregung, aber es ist nicht wirklich etwas passiert. Bis Poznan war schließlich wieder „Öl-Sardine“ angesagt. Hm, nun ja, ab Poznan eigentlich auch. Aber man tauscht hier in Polen auch gern die Reservierungen, so dass ich dann doch in einem nur zur Hälfte belegtem Abteil landete. Augen zu und gut Nacht! Bis zur nächsten Polen-Tour!

Fotos: Michael

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Polen

Artikel wurde veröffentlicht am
16 August 2013
Spielergebnis:
1:0
Zuschauerzahl:
1.000
Gästefans
230

Benutzer-Kommentare

Es gibt noch keine Benutzer-Kommentare.
Hast du schon ein Konto?
Datenschutz
Durch das Anhaken der folgenden Checkbox und des Buttons "Absenden" erlaube ich turus.net die Speicherung meiner oben eingegeben Daten:
Um eine Übersicht über die Kommentare / Bewertungen zu erhalten und Missbrauch zu vermeiden wird auf turus.net der Inhalt der Felder "Name", "Titel" "Kommentartext" (alles keine Pflichtfelder / also nur wenn angegeben), die Bewertung sowie Deine IP-Adresse und Zeitstempel Deines Kommentars gespeichert. Du kannst die Speicherung Deines Kommentars jederzeit widerrufen. Schreibe uns einfach eine E-Mail: "kommentar / at / turus.net". Mehr Informationen welche personenbezogenen Daten gespeichert werden, findest Du in unserer Datenschutzerklärung.
Ich stimme der Speicherung meiner personenbezogenen Daten zu:
Kommentare