Klub Sympatykow Gryf Slupsk vs. Victoria Slupsk: Der pommersche Pokal hat eigene Gesetze

MK Updated 30 August 2013
gryf slupsk

Gryf SlupskEs ist wirklich erstaunlich, dass da an einem Mittwoch zur besten Brunch-Zeit eine Regionalbahn sehr gut gefüllt nach Szczecin fährt. Vor mir sitzt ein Rentnerehepaar und wird bei Fahrscheinkontrolle gefragt, wohin denn die Reise gehen soll, da deren Ticket nur bis zur Grenze Gültigkeit besitzt. Da die Gattin gar keine Ahnung hat, reicht sie die Frage an den Mann weiter: „Du Karl-Heinz, wohin fahren wir eigentlich?“ (Name geändert). Mit dem schon aus der Tasche grinsenden Szczecin-Reiseführer wird überzeugend „Bis Tantow.“ geantwortet. Die, von denen man es gar nicht erwartet, sind immer die Schlimmsten. An anderer Stelle fischt die Bundespolizei erst einmal einen Vagabunden heraus und nimmt ihn sogleich mit. Für Unterhaltung war jedenfalls gesorgt. 

SlupskFür weniger als acht Euro wird sich in Szczecin ein Ticket nach Slupsk organisiert. Da kann sich die Bahn mal eine Scheibe davon abschneiden. Bei einer Strecke von 240 Kilometer ein richtig guter Preis. Auf weichen roten Polsterbänken geht dann die Fahrt nun vier Stunden Richtung Osten. Zwar waren die ollen Hartplastikschalen Kult, aber bei vier Stunden in einem ständig zuckenden Regio freut man sich dann doch eher über ein angenehmes Sitzen. Wälder, Städte und Dörfer ziehen vorbei und endlich wird Slupsk erreicht. Hier findet heute ein Spiel im regionalen Pokal statt. In der ersten Runde dürfen nicht nur die Kreisligisten teilnehmen, sondern auch einige andere Teams.

GryfPlötzlich taucht hier wieder ein Unia Tczew auf. Das ist ein Verein, den es im Fußball gar nicht mehr gibt. Aufgrund ständiger Streitigkeiten wurden 2009 beide Vereine in Tczew (Dirschau bei Danzig) – Wisla und Unia – durch eine Fusion eliminiert. Das wäre doch mal eine Idee für den deutschen Fußball. Längst ausgestorbene Vereine könnten dann in diesem Wettbewerb noch einmal zum Leben erweckt werden. Betriebe dürfen hier auch ihre Sportskameraden an den Start schicken. Sehr kurios kommen die Vertretungen der Fanszenen daher. Gleich zwei dieser Mannschaften treten in der ersten Runde an. Die Fans von Pogon Lebork schicken ein Tylko Pogon Lebork („Nur Pogon Lebork“) ins Rennen, Gryf Slupsk ein Team „Klub Sympatykow Gryf Slupsk“. Beide Vereine sind über die pommerschen Grenzen hinaus gut bekannt – sportlich eher weniger, dafür mehr Aufsehen bei den Randerscheinungen.

GryfInteressanterweise kommt heute noch dazu, dass die Fanmannschaft von Gryf heute auf den Ortsrivalen Victoria trifft. Victoria wurde 2010 im Gedenken an den erfolgreichsten Stolper Verein zur deutschen Zeit gegründet. Das war der SV Viktoria Stolp. Beide Wappen weisen eine große Ähnlichkeit auf. Viktoria trug nach dem Krieg sogar noch einige Freundschafts-Spiele im Altherren-Bereich aus (natürlich ohne Ausnahme alles Auswärtsspiele). Und hier roch es noch mehr nach Geschichte. Auf dem heutigen Sportgelände traten auch schon Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf an, ehe das Gebiet nach 1945 an Polen ging.

GryfDie Sonne verschwindet für heute und strahlt noch ein letztes Mal die Tribüne des Stadions an der Zielona-Straße an. Dann kommen auch schon beide Mannschaften und auch die ersten Fangrüppchen stehen überall verteilt herum. Später sammeln sie sich in ihrem Fanblock des großen Stadions und verfolgen von dort aus das Spiel auf dem Nebenplatz. Beide Mannschaften sind fast gleich stark. Gryf wirkt etwas mehr eingespielt. Sie trainieren die ganze Saison über nur für diesen einen Wettbewerb, der für sie auch schon nach der ersten Runde beendet sein kann. Heute sieht es gut aus. Vor knapp 300 Zuschauern steht es zur Pause 2:0. Der Fanblock mit den 130 Fans ist bester Laune.

GryfWer auf Melodien und Trommelrhythmen steht, ist hier falsch. Schon beim ersten Schlachtruf kriegt man hier eine Gänsehaut. Ein Ruf „A my swoje“ und der eindrucksvolle Mob antwortet mit einem dumpfen und lauten „Griiif KS, Griiif KS“. So war es schon immer. Es ist immer wieder genial. Nur zweimal gibt es ein richtiges Lied. Einmal klingt es „Wir sind überall dort, wo unser Gryf KS spielt“ und zum Beginn der zweiten Halbzeit werden zu einem „Für unsere Stadt und unsere Farben geben wir unser ganzes Leben – siege für uns, dann siegen auch wir – Gryf Slupsk wir lieben dich“ 17 Bengalos gezündet. Dazu wurde noch eine Blockfahne ausgerollt. Wer braucht schon diese finanziell aufgepumpten Wettbewerbe, die sich zum Beispiel Europa oder Champions League nennen? Das hier und heute war richtiger authentischer und ehrlicher Fußball. In der zweiten Hälfte kommt zwar Victoria noch einmal kurz heran, aber lässt sich dann doch noch mit 5:1 abfertigen.

GryfDas Spiel wurde übrigens offiziell um 19:46 angepfiffen. 1946 ist, welch Überraschung, das Gründungsjahr von Gryf Slupsk. Das Flutlicht machte den Abend perfekt – die Atmosphäre war einzigartig. Obwohl Staat und Medien stark an der Fankultur rütteln und sie negativ beeinflussen, gibt es noch Tage mit freudigen Überraschungen. Insgesamt war es ein schöner Kick an einem Mittwoch. Man fühlte sich zurückversetzt in vergangene Zeiten, als nur wenige Zuschauer im Stadion waren, aber dafür ein imponierender Fanblock wie ein Fels in der Brandung hinter dem Verein und der Stadt stand. Fußball in Polen war schon immer anders und wird es hoffentlich auch noch ewig sein.

Fußball für die Fans! Pilka nozna da kibicow!

Fotos: Marek K.

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

Artikel wurde veröffentlicht am
30 August 2013
Spielergebnis:
5:1
Zuschauerzahl:
300
Gästefans
10

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