Die fünfte Bundesliga-Spielzeit seit dem Wiederaufstieg hatte sich der Vorjahresfünfte SC Freiburg etwas anders vorgestellt. Im letzten Jahr noch einen Platz in der Europa League erkämpft, stecken die Breisgauer aktuell im Abstiegskampf. Ein wenig Vorwarnung bestand sicherlich nach dem Abgang von fast einem halben Duzend wichtiger Spieler schon (vier davon brachten insgesamt 10Mio. Euro Transfererlöse), aber dass es so schwierig wird, war wohl nicht zu erwarten. Da tat der knappe Auswärtssieg bei Kellerkind Eintracht Braunschweig schon ganz gut.
Slovan Liberec vs. SC Freiburg: Achtungserfolg für die Breisgauer
Und so fällt es den Freiburgern auch schwer, die europäische Luft mit vollen Zügen einzuatmen – statt belebend, wirkt sie eher lähmend, Höhenluft eben, etwas zu dünn. Wie auch die bisherigen internationalen Ergebnisse: eine Niederlage beim FC Sevilla ist durchaus zu verschmerzen, aber der portugiesische Vertreter GD Estoril ist nun wahrlich kein Goliath, trotzdem gab es nur zwei Remis. Und dann ist da noch Slovan Liberec. Daheim reichte ein 2:0 Vorsprung gegen den aktuell vierten der tschechischen Gambrinus Liga nicht aus, auch hier am Ende nur Remis. Liberec hat fleißiger Punkte gesammelt, steht mit sechs Stück ungeschlagen auf Platz zwei, Freiburg dahinter mit nur drei Punkten. Letzter Strohalm für das Weiterkommen ist also das erneute direkte Aufeinandertreffen, dieses Mal im Stadion U Nisy.
Liberec liegt 110km nördlich von Prag, nahe der Grenzen zu Polen und Deutschland und ist mit über 100.000 Einwohnern die größte Stadt in der Region. Zu Slovans Ligaspielen kamen in dieser Saison bisher durchschnittlich 5.486 Zuschauer, in der Europa League immerhin 7.600. Heute gab es mit 8.800 einen Spitzenwert im architektonisch recht eigenwilligen Stadion. Wie in Pilsen formen hier jetzt drei Sitzplatzseiten ein überdachtes U in einem Design, das man mittlerweile auch in jeder anderen x-beliebigen modernen Arena verorten könnte. Die Haupttribüne ist jedoch davon abgegrenzt und versprüht noch so etwas wie Charme: Nach oben hin zugespitzt ist sie direkt in einen Hügel gebaut. Insgesamt können im Stadion 9.900 Zuschauer Platz nehmen.
Slovan ist seit Gründung der tschechischen ersten Liga in ihrer jetzigen Form in den 1990ern noch nie abgestiegen und hat sie seitdem drei Mal gewonnen, zuletzt in der Saison 2011/12. Im letzten Jahr wurde das Team Dritter und kämpfte sich durch mehrere Qualifikationsrunden (u.a. gegen den FC Zürich und Udinese Calcio) in die Gruppenphase.
Freiburg ging deutlich geschwächt in die Partie: zwei Spieler gesperrt, sieben verletzt oder angeschlagen – Anzeichen höherer Belastung durch die zusätzlichen europäischen Auftritte. Im Lazarett weilt u.a. auch der Tscheche Vladimir Darida, mit €4Mio. teuerster Neuzugang (aus Pilsen). Sein Landsmann Vaclav Pilar verfolgte das Spiel nur von der Freiburger Bank aus, aber immerhin Abwehrspieler Pavel Krmaš kam in seinem Heimatland zum Einsatz.
Mitgereist waren etwa 1.400 Fans aus dem Breisgau, die noch vor Beginn die akustische Herrschaft im Stadion an sich rissen und auch nicht wieder hergeben sollten. Pünktlich zum Anpfiff hüllten sie die Ecke des Gästeblocks in rotes Fackellicht, um daraufhin gut gelaunt vielfältige Lieder durch das gut gefüllte Rund schallen zu lassen. Auf dem Rasen tat sich hingegen wenig, beide Mannschaften spielten zaghaft und machten immer wieder Fehler im Spielaufbau, die aber zunächst nicht bestraft wuden. Ein Tor lag nicht in der Luft, bis der Liberec-Torwart bei einer Freiburger Ecke daneben griff und Matthias Ginter den Ball mit dem Rücken zum Tor aus spitzem Winkel über Freund und Feind ins leere Tor schlenzte, hinter dem die Gästefans nun zu Höchstleistungen aufliefen (23.).
Von Slovan kam bis zur Pause weder auf dem Rasen noch auf den Rängen recht viel. Zu Beginn gab es auf der Gegengerade zwar eine Choreo, kleine Gruppen aktiver Fans waren aber in zwei gegenüberliegenden Ecken des Stadions verteilt, eine davon direkt neben dem Gästemob, abgetrennt nur durch Plastikband und einem halben Duzend Ordner.
Nach der Pause legten die Tschechen aber einen Zahn zu, kamen zu Chancen und trafen wenige Minuten nach Wiederanpfiff sogar den Pfosten. Auch von den heimischen Rängen brandeten jetzt vereinzelt „Liberec“ Sprechchöre auf. Mit dem Druck nahm aber auch der zuvor bereits in Ansätzen erkennbare Slapstick im Spiel zu: Bälle wurden staffettenartig und fast schon kunstvoll verpasst, so dass bei aller Unsortiertheit im Angriff, jetzt ein Liberec-Zufallstor in der Luft lag. Fallen sollte es aber wieder für Freiburg: Christian Günther ließ auf der linken Außenbahn drei Gegenspieler aussteigen, ließ sich auch durch einen Foulversuch nicht stoppen. Seine Flanke landete genau auf dem Kopf von Francis Coquelin, von dort war es ein kurzer Weg über die Torlinie (72.).
Mit dem Treffer kehrte auch der mittlerweile etwas ruhiger vorgetragene Freiburger Support wieder zurück: „Der SCF ist wieder da!“ gaben sich stolzerfüllte Kehlen jetzt auch auf der Gegengerade zu erkennen. Liberec kam in der 82. Minute dann doch noch zu einem Treffer und machte die letzten 13 Minuten (gleich 5 wurden nachgespielt) damit wieder spannend. Slovan warf alles nach vorne, auch wiederholt den Torhüter, und es wurde noch einige Male brenzlig. Insgesamt fiel dem Team außer langen Bällen aber nichts mehr gegen die stehend KO spielenden aber tapfer verteidigenden Freiburger ein, die sich diesen Achtungserfolg am Ende redlich verdienten.
Durch den direkten Vergleich rückt der Sportclub punktgleich mit Liberec auf den zweiten Platz in der Tabelle, muss aber am letzten Spieltag gegen Sevilla bestehen während Liberec beim GD Estoril antritt.
In der Saison 2001/02 spielte der SC Freiburg übrigens schon mal auf europäischer Ebene, im UEFA Cup, der damals nur in KO-Runden ausgetragen wurde. Schluss war damals erst in Runde 3 gegen den späteren Sieger Feyenoord Rotterdam – ein achtbarer Erfolg. Gleichzeitig ging es im Tagesgeschäft aber eine Etage tiefer: als Drittletzter stiegen die Breisgauer ab. Das entspricht auch der aktuellen Tabellensituation, würde heute aber immerhin Relegation bedeuten. Vielleicht kommt es aber dieses Jahr gar nicht soweit – den nächsten Schritt können die Freiburger am Wochenende bei Borussia Mönchengladbach gehen, jetzt mit dem Selbstvertrauen von zwei Auswärtserfolgen in Folge im Rücken.
Fotos: Felix Natschinski
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