Nach einer Periode des sportlichen Misserfolgs scheint sich Hansa Rostock wieder etwas gefangen haben. Die Mission lautet: Aufstieg in die 2. Liga. Doch dazu musste erst der heutige Gegner aus dem fernen Saarland besiegt werden. Der SV Elversberg dürfte nur noch den Hardcore-Freaks aus den 90er Jahren bekannt sein. Da spielte man noch in der viergleisigen Regionalliga, welche damals das dritthöchste Level war. Mehr als eine ganz graue Maus sind die Elversberger aber nicht. Die Erwartungen an das Geschehen lagen heut nicht so hoch. Auf dem Rasen konnte man mit einem niedrigen Resultat spekulieren. Hansa musste kommen und Elversberg Beton anrühren. Für Fußballästheten war das hier heute sicherlich kein Zuckerschlecken. Am Ende hieß es auch wirklich nur 1:0 für Hansa, obwohl das Ergebnis auch höher ausfallen hätte können, nur Elversberg hätte kein Tor verdient gehabt.
Hansa Rostock siegreich im letzten Heimspiel des Jahres: Tolle Atmosphäre auf den Rängen
HotIn osteuropäischen Ländern wird bei nicht so attraktiven Gegnern gerne Mal ein Angebot hervorgezaubert, um das Stadion durch vergünstigte Karten etwas zu füllen, aber hier konnte man das nicht erwarten. Das ist Deutschland. Dazu passte dann auch das kalte Nieselwetter. An der Kasse verlangte man trotz Kälte und schlechtem Gegner einen relativ hohen Preis (18 Euro) für eine Karte für die Hintertortribüne. Jedenfalls hatte man nun von hier aus den besten Blick auf die Südtribüne. Auf der Videowand flimmert ein Werbe-Clip des Vereins und es zeigt ein paar Graffitis. Sieh mal einer an. Als Außenstehender kann man vermuten, dass es zwischen den Ultras und dem Verein aktuell gut läuft. Die Anzeige der Uhr nähert sich der 14 und die Mannschaften laufen auf. Alle strecken vorher noch den Schal zur Hymne in die Höhe. Das hatte was. Die „Süd“ praktizierte das vorbildhaft und sehr geschlossen - beim Rest sah das auch nicht verkehrt aus. Zwischendurch wurde der Ton abgestellt und die Masse sang auf dem gleichen Level weiter. Das kann man anbieten, das war nicht schlecht!
Während es auf der „Süd“ nun „Forza FCH“ hallt, wird im Block 8 rumgekaspert und dagegen gesungen. Das trübte das Bild. Die guten Hansa-Fans auf der „Süd“ kennen das Problem wahrscheinlich nur zu gut und mussten sich das gewiss schon mehrmals anhören und sie können für diese Situation wahrscheinlich auch am wenigsten. Dieser Störfaktor war nun leider da und man musste ihn, so gut es ging, versuchen zu überhören. Das ist aber schwer möglich, wenn irgendeiner, wie von der Tarantel gestochen, ständig wie bescheuert auf die Trommel drischt. Trommeleinsatz muss doch irgendwo Sinn machen! Warum gehen diese Leute nicht zum Handball, wo man sich an solche Auswüchse schon gewöhnt hat? Die „Süd“ zog weiter durch. Es ist wirklich erstaunlich, dass es nie langweilig wurde, obwohl keine Gästefans anwesend waren, die dagegenhielten. Vielleicht kann man ja den Block 8 als Gästesektor betrachten, sodass der richtige Fanblock ständig so rekordverdächtig abgeht.
Jede Fanszene hat eigentlich so ein spezifisches Lied, was so ungefähr als „deren Lied“ betrachtet werden kann. Das ist hier ohne Zweifel „Vorwärts HRO, wir werden die Gegner schlagen“. Das wurde einige Minuten gehalten und dazu einheitlich geklatscht. Das war in der Tat sehr beeindruckend. Auch ein „Und wenn wir auf der Südtribüne steh’n“ wurde eine Zeit lang immer und immer wieder zum Besten gegeben. Ich schätze das Lied-Repertoire auf knapp 20. Das „Ahu“ ist natürlich auch immer ein Highlight. Zwischendurch gab dann immer noch Oldschool-Shantys, die sich eben über Jahrzehnte halten. Und plötzlich werden aus dem Nichts die Schals gezeigt und es wird mitten im Spiel nochmals die Hymne gesungen. Da machte wieder das ganze Stadion mit! Auch bei dem Frage-Antwort-Spiel, welches von der „Süd“ ausging und auf alle übrigen Stadionbereiche abzielte, war eine große Bereitschaft zur Interaktion zu erkennen.
Zum abschließenden Höhepunkt rief das Stadion gemeinsam. Also hier wurde heute eine relativ hohe Kunst der Stadionatmosphäre geboten. Das anfänglich hohe Level der Lautstärke konnte zwar nicht gehalten werden, aber die Beteiligung wertete alles wieder auf. 9.500 Zuschauer wurden angesagt und von diesen wussten über 90 Prozent, warum sie gekommen waren – allen voran die „Süd“. Die Jungs, die zwar keine Engel, andererseits aber auch keine Schwerkriminellen sind, machen wirklich einen guten Job. Egal, wie viele Steine ihnen schon in den Weg gelegt wurden, wie oft man sie schikanierte und wie oft man schon gegen sie hetzte, als wäre man wieder im Zeitalter der Hexenverbrennungen angekommen, sie haben eine unglaubliche Macht, verbreiten eine beeindruckende Faszination und stehen immer wieder auf. In Anbetracht all dieser Punkte: Auf Fanebene ist Hansa Rostock aktuell die unangefochtene Nummer 1 in Deutschland, „Ahu“!
Text & Fotos: Marek K.
Oberes kleines Bild: Graffiti an einer Mauer in Rostock