Ja, die Polizei war im Berliner Kosmos! Im Gegensatz zu 2012, als die Vertreter der Exekutive durch Abwesenheit glänzten, stellten sich beim diesjährigen Fankongress auf der Podiumsdiskussion „Fußballfans & die Polizei: Getrennt in den Farben, getrennt in der Sache?“ am Samstagnachmittag gleich zwei überaus interessante Personen den Fragen. Zum einen Bernd Heinen vom Nationalen Ausschuss Sport und Sicherheit, zum anderen Hans-Ulrich Hauck, Leiter der Berliner Polizeidirektion 2 (zuständig unter anderen für das Berliner Olympiastadion). Während Bernd Heinen phasenweise eher knorrig rüberkam, wählte Hans-Ulrich Hauck eher sanfte Worte und überraschte sogar mit einem Angebot. Später dazu mehr. Bevor es ins Detail geht, erst einmal ein Gesamtüberblick.
Fankongress 2014: Berliner Polizeidirektion 2 zeigt Dialogbereitschaft
Über 700 Fußballfans von 80 Vereinen aus sämtlichen Ecken des Landes hatten sich am 18. und 19. Januar im Kosmos an der Karl-Marx-Allee eingefunden, um an den zahlreichen Diskussionsrunden und Workshops teilzunehmen. Wie bereits 2012 haben sie eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Fußballfans in Deutschland nicht nur Woche für Woche die Stadien bunt und laut machen, sondern darüber hinaus aktiv an der Gestaltung des Fußballs teilnehmen können und wollen. Keine Frage, dieser in Europa einmalige Organisationsgrad bietet Vereinen, Verbänden und allen anderen am Fußball Beteiligten die Chance mit Fans in den Dialog zu treten und das Fußballerlebnis miteinander zu gestalten. Die Fanorganisationen ProFans und Unsere Kurve, die den Fankongress 2014 veranstalteten, zeigten sich sehr erfreut, dass sich die DFL mit Andreas Rettig und der DFB mit Helmut Sandrock an dem Kongress beteiligt haben.
In zehn Arbeitsgruppen wurde unter anderen über Möglichkeiten zur Verbesserung der Medienarbeit, die Mitbestimmung im Verein, die speziellen Probleme der Amateurvereine, Werte im Fußball, die rechtliche Unterstützung von Fußballfans und das sogenannte „St. Pauli-Modell“ diskutiert. Am Samstagvormittag nahm der Fankongress nach einem Frühstück im Foyer des Kosmos und der Begrüßung im Saal 1 langsam aber sicher Fahrt auf. Ein wenig schleppend begann zum Beispiel die Veranstaltung „Von Profis lernen – Workshop zum Thema Medienarbeit“ im Saal 10. Bei der Eingangspräsentation von Dario Sarmadi von Amnesty International fühlte man sich aufgrund der ein wenig trockenen Darstellung in den Uni-Alltag versetzt, doch der Journalist Andrej Reisin und Martin Endemann von Football Supporters Europe brachten im Anschluss recht fix richtig Schwung in den Saal. Es dauerte nicht lange, bis sich die Workshop-Teilnehmer rege an der Diskussion beteiligten. Auf welchem Wege können Print- und Onlineredaktionen am besten kontaktiert werden? Wie können Ultrà-Gruppierungen und Fanorganisationen taktisch klug vorgehen, wenn es „mal wieder brennt“? Wie können Journalisten dazu bewegt werden, nicht nur die Pressemitteilung der örtlichen Polizei eins zu eins abzudrucken? Sowohl Andrej Reisin und Martin Endemann, als auch Jakob Rosenberg – Chefredakteur des österreichischen Fußballmagazins ballesterer – hatten einige gute Ratschläge parat, so dass die Mehrheit der Anwesenden ganz gewiss etwas wertvolles aus dem Workshop mitnehmen konnte.
Während nach der Mittagspause die meisten Kongressteilnehmer die verschiedenen Veranstaltungen der zehn Themenstränge besuchten, nutzten einige Journalisten und Fanbeauftragte die Gelegenheit, sich in Ruhe bei einem Käffchen auszutauschen und Kontakte zu knüpfen bzw. zu festigen. Von allen mit Spannung erwartet wurde am Samstag die nach der kurzen Kaffeepause stattfindende Podiumsdiskussion zum Thema Fußballfans und Polizei. Eine kurze Einleitung gab es von Helmut Sandrock, Generalsekretär des Deutschen Fußballbunds. Im Anschluss nahm die Angelegenheit wie erwartet sofort Fahrt auf. Moderiert wurde die Diskussion von einem alten Hasen: Fabian von Wachsmann, Hörfunkreporter und Stadionsprecher bei Hertha BSC. Die Mischung auf der Bühne war gut. Neben den beiden Vertretern der Polizei kamen Christian Bieberstein (Unsere Kurve, Hamburger SV), Prof. Dr. Thomas Feltes (Ruhr-Universität Bochum), Prof. Dr. Albert Scherr (Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau) sowie Hendrik Große-Lefert (Sicherheitsbeauftragter des DFB) und Donato Melillo (Leiter Fanbetreuung bei Hertha BSC) zu Wort.
Ein Verhältnis zwischen Fußballfans und Polizei? Es gebe kein Verhältnis, erklärte Christian Bieberstein gleich zu Beginn der Diskussion. Zu tief sei das Vertrauen in die Polizei erschüttert. Nur zu klar, dass hierzu sogleich Bernd Heinen eine Antwort geben wollte. Er ermahnte, dass auf allen Seiten ernsthaft reflektiert werden müsse, damit ein Austausch gelingen könne. Sachgerecht müsse Kritik empfangen werden, über Themen müsse gesprochen und bestimmte Grenzen müssen erklärt werden. Wenn dies gelänge, sei man einen ganzen Schritt weitergekommen. Da Bernd Heinen diese Möglichkeit auf dem Fankongress sah, habe er die kurzfristige Einladung angenommen. Für seine einleitenden Worte gab es durchaus Applaus von den Zuhörern, im späteren Verlauf der Diskussion sollte dieser dann meist ausbleiben.
Prof. Dr. Albert Scherr, der nicht nur aus der Wissenschaft, sondern auch aus der Bürgerrechtsbewegung kommt, erklärte mit deutlichen Worten, dass es mittlerweile Teilgruppen (beim Fußball und bei Demonstrationen) gibt, die die Polizei einfach nicht mehr als Dialogpartner, sondern nur noch als Gegner sieht. Da müsse man sich fragen, woher kommt so was?! Dies habe neben der ideologischen Einstellung auch mit konkreten Erfahrungen bei Polizeieinsätzen zu tun. Und wenn er als Fan so behandelt werden würde wie in den meisten Fällen die Auswärtsfans bei Gastspielen in Freiburg, hätte er persönlich auch kein starkes Motiv für ein dialogisches Verhältnis, so Scherr. Die einzige spannende Frage sei deshalb, wie man gemeinsam aus dieser verfahrenen Situation wieder herauskommen kann.
Daraufhin gab Hendrik Große-Lefert zu bedenken, dass trotz diverser örtlicher Probleme Deutschland im internationalen Vergleich noch immer mit die fanfreundlichsten Strukturen habe. Allerdings wisse der DFB, dass daran noch immer gearbeitet werden müsse, so dass es zu weiteren Verbesserungen für die Fans kommt. Dass es durchaus Spannungsfelder gibt, räumte Große-Lefert ein. Ein Schritt zum Abbau dieser sei unter anderen die Einbindung der Fußballfans in Gremien und Plattformen wie dieser Fankongress, an dem der DFB teilnimmt.
Mit Christian Bieberstein war indes eine wirklich gute Stimme der Fans auf dem Podium, der sich durch freundliche Worte nicht abbringen ließ. Erstaunlich routiniert erklärte er seine Position. So höre sich in der Theorie alles prima an, doch ob sich das alles auf die Einsatzkräfte vor Ort runterbrechen lasse, sei fraglich. Als eines der Negativbeispiele führte er das Auswärtsspiel des 1. FC Union Berlin beim 1. FC Kaiserslautern an, bei dem der Fanbeauftragte der Eisernen von Polizisten attackiert wurde. Wie sei da noch ein Dialog möglich, wenn genau solche Personen, die wichtige Positionen bei einem Austausch einnehmen, vor Ort nicht mal ihrer Arbeit nachgehen können? So sei die aktuelle Problematik nicht allein ein Gewaltproblem, sondern auch ein Polizei-, (Polizei-)Gewerkschafts- und Politikproblem.
Bernd Heinen vom Nationalen Ausschuss Sport und Sicherheit schien nun ein wenig aus der Reserve gelockt. Man könne anderthalb Stunden damit verbringen, Beispiele anzuführen, die die jeweilige Seite Scheiße findet. Als Gegenbeispiel führte er sogleich den Bundespolizisten an, der vergangene Woche einen Ziegelstein ins Gesicht bekommen hatte. Folgend mahnte er an, die Emotionen im Austausch ein Stückweit wegzulassen. Ansonsten würde das Ganze einfach keinen Sinn machen. Die bestehenden Probleme dürfen keinesfalls an jeweiligen Einzelbeispielen personifiziert werden. Das sei seit Jahren nämlich der Fall. Eine Seite schimpfe auf die anderen, jeder habe gewiss seine Beispiele. Man sei allerdings doch nicht angetreten, nur das zu erklären, was man bereits wisse.
Auf das von Christian Bieberstein angesprochene „Nicht-Verhältnis“ ging im Anschluss Hans-Ulrich Hauck von der besagten Direktion 2 ein. So sei die Einladung zu diesem Fankongress ein Beweis dafür, dass durchaus ein Gespräch möglich sei. Denn wer kein Verhältnis hat, der lädt auch nicht ein. Zudem betonte Hauck, dass in Berlin sehr wohl Polizeieinsätze nachbereitet werden. Gleich darauf sein Angebot: So sei es schön, wenn diese Nachbereitung beispielsweise nicht allein mit dem Fanbeauftragten von Hertha BSC und dem Fanprojekt stattfindet. Viel mehr seien alle eingeladen, die glauben, mit der Polizei reden zu können. Gleichzeitig betonte er, dass es nicht allein „die Fans“ und „die Polizei“ gebe. Vielmehr seien zahlreiche Polizisten auch Fußballfans, die regelmäßig sowohl daheim als auch auswärts ins Stadion gehen. Deshalb noch einmal sein ganz großes Angebot: Jeder, der reden möchte über Dinge, die passiert sind, sei eingeladen. Denn durchaus gebe es Fehler bei der Polizei, die möchte er gar nicht wegdiskutieren. Allerdings gab er zu Bedenken, dass seine Kollegen nicht nur beim Fußball im Einsatz seien. Vielmehr sei die Palette an Aufgaben äußerst groß. Von der Demonstration über den Wohnungseinbruch bis hin zum Kfz-Diebstahl. Da mag es mal sein, dass Kollegen, die über Wochen im Dauereinsatz sind, auch mal überreagieren. Hans-Ulrich Hauck erklärte zudem, dass er als Privatperson auch durchaus zum Fußball gehe – und da gefalle ihm nicht alles, was er sieht. So hatte er neulich an einem anderen Bundesligastandort sogar die Hände über den Kopf zusammengeschlagen. Gemeint war in diesem Fall die Ankunft eines Sonderzuges. Kurzum: Bei einem Perspektivwechsel könne man durchaus viel lernen.
Im Laufe der Diskussion wurden weitere Punkte angesprochen. So zum Beispiel die fehlende Transparenz bei der Polizei. Gefüttert wurde die durchaus emotionale Diskussion von Fragen aus dem Publikum. Fehlende Kennzeichnung der Polizisten in zahlreichen Bundesländern. Die verstärkte Aufrüstung der Einsatzkräfte. Interessante Anmerkungen gab ein englischer Fußballfan, der die Situation in England und Deutschland verglich. Auf der Insel die unbewaffneten Beamten, die als Mensch erkennbar seien und erst einmal mündliche Verwarnungen geben, in Deutschland dagegen teils vermummte Beamte, die aussehen wie RoboCop und von Knüppel und Pfefferspray schnell Gebrauch machen. Eine Abrüstung empfahl daraufhin auch Prof. Dr. Albert Scherr. Wenn Polizisten vor Ort wieder mehr als Menschen wahrzunehmen seien, könne die Situation entschärft werden. Und ob direkter Dialog in Zukunft überhaupt möglich sei? Genau dies bezweifelt Christian Bieberstein aus Hamburg. Zu tief sei der Graben. Allerdings müssten Fanbeauftragte und Fanprojekte genau diese Aufgabe übernehmen. Umso wichtiger sei es, dass Fanbeauftragte echte Vertrauenspersonen für Fans bzw. Ultras sind. Ein ehemaliges GSG 9-Mitglied als Fanbeauftragter sei deshalb einfach nur eine Farce (Beispiel München).
Kurzum: In der Tat verhärtete Fronten. Allerdings sollten die Berliner Fußballfans – insbesondere die von Hertha BSC – den Leiter der Polizeidirektion 2 beim Wort nehmen und es auf einen Versuch ankommen lassen!
Und das Fazit der Veranstalter? Über die Podiumsdiskussion zeigte man sich unter dem Strich durchaus erfreut. „Wir wünschen uns allerdings, dass die differenzierte Haltung der Podiumsteilnehmer auch bei den Einsatzkräften vor Ort ankommt und diese bei der Wahrnehmung ihres gesellschaftlichen Auftrages am Spieltag einen differenzierten Umgang mit den Fans an den Tag legen.“, betonte Sandra Schwedler von ProFans. „Wir hoffen, dass Fans in der öffentlichen Debatte als das wahrgenommen werden, was sie sind: Eine Bereicherung für den Fußball!“, ergänzt Daniel Nowara, Sprecher der IG „Unsere Kurve“.
Weiterhin wird in der abschließenden Pressemitteilung erklärt: Die immer stärker zu Tage tretende Scharfmacherei und der Populismus aus Teilen von Polizei und Innenpolitik werden zu keiner Problemlösung beitragen, sondern machen aus verhältnismäßig geringen Problemen große. Hier muss dringend mehr Sachverstand in die Debatte Einzug halten. Die Fans haben in Berlin zum wiederholten Male bewiesen, dass sie sowohl organisatorisch als auch inhaltlich kompetente Ansprechpartner sind. Es wird Zeit, dass sie von Politik und Polizei als selbige wahrgenommen werden. Fußball-Fans haben Probleme, aber sie sind keins.
Fotos & Video: Marco Bertram
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