Europapokal in der Ukraine: Chernomorets Odessa vs. Olympique Lyon

E 21 Februar 2014
odessa

Odessa„Від Луганська до Карпат фанат фанату - друг і брат“ – Von Luhans bis zu den Karpaten sind alle Fans Brüder und Freunde. Rund eine Woche nach dem Burgfrieden der gesamten Fanszenen der Ukraine herrschen bisweilen immer noch chaotische Zustände auf dem Maidan, auch wenn just ein erstes Abkommen zwischen Regierung und Opposition geschlossen wurde. ,,Встать!“ – Wacht auf. Hunderte, zumeist junge Menschen, ziehen am Mittwochabend  nach den verheerenden Auseinandersetzungen  der vorherigen Nacht in Kiew und anderswo durch die Straßen Odessas und versuchen das Volk zu sensibilisieren. Sie wollen so nicht weitermachen in einem Land voller Missstände, das wie sie sagen, von einem nicht nur in der Vergangenheit Kriminellen geführt wird!

OdessaMir gegenüber sitzt Dmitry, 18. Er ist die Verkörperung der neuen hungrigen Jugend. Er will nicht, dass Odessa in ähnlichem Chaos versinkt wie die Hauptstadt, sagt der junge Student. Dmitry ist Mitglied der Ultra Gruppierung ,,South Front“ – Ultra von Chernomorets Odessa. Stolz erzählt er mir von regelmäßigen Treffen, welche bis zu 200 Leute versammeln und zu den guten Beziehungen zum Verein. Zu den Alten gibt es wenig Kontakt, sie möchten heut zu Tage den Fokus auf den aktiven Support legen im Stadion, weniger auf der Straße! Eine neue Generation ist herangewachsen.

Seine Miene senkt sich, als ich ihn auf die momentanen Verhältnisse anspreche. Titushkis, staatlich organisierte Schlägerbanden, herangekarrt aus dem In- und Ausland, welche auch für weniger als zwei Euro wortwörtlich den Knüppel schwingen, hätten heute Mittag beispielsweise  Lokaljournalisten auf dem Marktplatz attackiert. Er fürchtet die Polizei-Sondereinheit Berkut, welche bei Fehlverhalten sogar in die eigene Kurve kommen könnte.

Doch man wehrt sich. Auf der Straße vor dem Café ziehen wiederum rund 100 Leute vorbei. Dmitry schaut in die Gesichter: ,,Ich kenne viele aus dem Stadion!“
Er erzählt, dass einige Mitglieder der South Front auf dem Maidan seien, letzte Woche viele aus der Gruppe hier in Odessa zu den 800 Mann gehörten, welche die Abfahrt der Berkut-Busse gen Kiew blockierten. Wiederum kamen Kleinbusse samt Titushkis und griffen die Blockade von der Seite an.

Doch in Odessa sei es vergleichbar zu vielen anderen Städten ruhig. Das liegt an der Geschichte der Stadt (ehemals freie Stadt), welche außerdem viele russische Separatisten beherbergt. Warum überall zumeist junge Menschen auf die Straße gehen, möchte ich wissen. Sie wollen eine Zukunft, Demokratie sagt er. Die Ukraine ist kein Vogelkäfig; und die Menschen wissen zu fliegen.

OdessaVor dem Burgfrieden der Fans seien Ultras aller Farben zusammen auf dem Maidan gewesen, doch außerhalb der Protestinsel entwickelten sich Auseinandersetzungen. So stieß Odessa mit Freunden aus Charkow gegen den großen Feind Dinamo zusammen. Doch die Lage hat sich zugespitzt, Repressionen dramatisch zugenommen, sodass es nur noch ein „Wir“ geben kann. Dmitry vermutet jedoch, dass sich dieser Waffenstillstand schnell wieder ändern kann, vielleicht sogar schon zum Saisonbeginn nächste Woche. Es hängt vieles am Maidan.

Sein Handy klingelt. Erleichterung. Das morgige Spiel in der Europa League gegen Lyon, welches bisher vor der möglichen Aussetzung stand, findet statt. Den zahlreichen Toten der Auseinandersetzungen wird mit einer Schweigeminute gedacht. Genauso vollzieht es sich mit Dnipro Dnipropetrovsk gegen Tottenham. Nur der Hauptstadtclub Dinamo wird gegen Valencia auf Zypern die Begegnung austragen müssen. Er schüttelt den Kopf über die Zustände, welche gewisse Parallelen zu Ägypten und den Tahrir aufzeigen.

Zum Abschluss möchte ich wissen, was ich für das morgige Spiel erwarten kann. „Natürlich eine Choreografie!“ Sie seien sehr stolz auf die erste Überwinterung des Clubs im internationalen Fußballgeschehen überhaupt. Pyro? Nein, seit dem 16. Januar hat sich auch in der Ukraine die Lage der Fans gesetzlich erheblich verschärft. Zweijährige Stadionverbote seien möglich, auch personalisierte Tickets soll es geben. Das dies bisher keine Realität ist, ist natürlich auch dem Maidan zu verdanken.

OdessaOdessa wird am Tag darauf von 28000 Zuschauern ein müdes 0-0 gegen die Franzosen abliefern. Für die Fans scheint das Spiel Ablenkung zu sein, keine Bühne für große Meinungsäußerungen. Manch einer wird sagen: Fußball eben, wo Alltagssorgen für 90 Minuten oftmals in den Hintergrund rücken. Es gibt keine politischen Statements – Lautsprecheraussagen weisen auch mehrmals daraufhin, Politik außen vor zulassen.
Dann wird in der 60. Minute doch noch ein Transparent enthüllt. ,,Зеку смерть“ – ,,Stirb Knasti“ in Anspielung auf Janukowitschs Tage als Häftling. Der Stadionsprecher ertönt erneut, geht jedoch vollkommen unter in lautem Pfeifen.

Fotos: Eric K.

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in der Ukraine

Spielergebnis:
0:0
Zuschauerzahl:
26.250

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