Beim Landesligisten SV Blau Weiss Berlin weiß man allzu gut, wie es ist, wenn der Lieblingsverein, an dem man mit Herz und Seele hängt, in den Dreck gefahren wird. Bei manch einem Mittvierziger, der als junger Fußballfreund einst ins Berliner Olympiastadion pilgerte und der SpVgg Blau-Weiß 90 Berlin die Daumen drückte, stecken die bitteren Erlebnisse im Juni 1992 immer noch in den Knochen. Kein Pardon von Seiten des DFB für den verschuldeten Zweitligisten. Lizenzentzug! Kurze Zeit später löste sich der Verein auf und wurde von den Fans neu gegründet. Neustart in der Kreisliga C.
Blau Weiss Berlin lebt noch: Stimmungsvolles Spitzenspiel gegen FC Internationale
Das ging damals scheinbar nicht mit rechten Dingen ab. Vorschnell wurde Blau-Weiß 90 abgewickelt. Sicherlich drückten den Verein damals Schulden. Gewiss war es ein Fehler, finanziell an einer Person gebunden zu sein. Doch das totale Aus? Gab es keine andere Lösung? Wurden da im Hintergrund mit Absicht Intrigen gesponnen? Sollte gar Platz geschaffen werden für den anderen blau-weißen Hauptstadtklub? Wer weiß. Fakt ist, nicht wenige Fans verloren damals den Glauben an den Fußball. Sie kehrten dem runden Leder den Rücken zu. Mancher schloss komplett ab. Andere – leider nur nur wenige – kamen später wieder in der Kreis-, Bezirks- und Landesliga zum SV Blau Weiss Berlin und unterstützten die Mannschaft sowohl in guten als auch in schlechten Tagen.
Freundschaftliche Verbindungen wurden geknüpft – und zwar zum polnischen Amateurverein KS Wielim Szczecinek (Neustettin). Vor anderthalb Jahren gab es auf dem Sportplatz an der Rathausstraße (einst Heimstätte von Union 92 Berlin) sogar ein Freundschaftsspiel, zu dem etliche polnische Fans angereist waren. Eins, zwei, drei, Oberkörper frei! Knackiger Support im beschaulichen Mariendorf. Fix hatten polizeiliche Einsatzkräfte die historische Sportanlage umstellt. Zu tun gab es jedoch nichts, die Fans von Wielim und Blau Weiss verstanden sich ja prima.
Beim Klub Sportowy Wielim, derzeit in der IV Liga (fünfte Spielklasse), rumorte es zuletzt gewaltig. Die Stadt wollte Geld in den Fußball pumpen und somit Voraussetzungen für die vierte Liga schaffen. Gegen den Willen der Fans und Vereinsverantwortlichen sollten beide relevanten Fußballklubs in Neustettin zusammengeführt werden. Die geplante Fusion schlug hohe Wellen – und zwar bis Berlin-Mariendorf. Auch dort gab es in der Vergangenheit Pläne. Von einer Fusion mit Germania 88 war wohl mal die Rede. Die Fans sprachen sich stets gegen solche Pläne aus. Bei KS Sportowy Wielim wehrt man sich gegen die Zusammenführung und zieht sich freiwillig in die siebte Liga zurück. Lieber in den Niederungen als Fan-Verein weiter spielen, als das Gesicht verlieren und als Retortenklub in der vierten Liga sein Dasein fristen.
Auf die Situation in Neustettin nahmen beim gestrigen Landesliga-Spitzenspiel gegen den FC Internationale die Blau-Weiss-Fans mit einem Spruchband Bezug: „Ob Szczecinek oder Mariendorf – alle finden Fusionen doof!!!“ Hochgehalten wurde dieses zirka zehn Minuten nach dem Anpfiff der mit Spannung erwarteten Partie. Gespielt wurden auf dem Kunstrasenplatz, der Naturrasen des Hauptplatzes glich noch eher einer Picknickwiese. Offiziell fanden sich 103 zahlende Zuschauer auf der Sportanlage ein, insgesamt waren es jedoch über 150 Fußballfreunde, die vor Ort waren. Unter ihnen nicht wenige Zuschauer, die dem FC Internationale die Daumen drückten.
Angenehmes Frühlingswetter. Frisch gezapftes Bier, das durch ein Fenster gereicht wurde. Und sogar eine Portion Fußballatmosphäre – und das in der siebten Liga. Rund 15 Blau-Weiss-Anhänger stimmten ab und an ein Liedchen an. Im Laufe der Spielzeit stieg auch der Adrenalinpegel. Gegen Ende der Partie wurde es sogar richtig hitzig. Sowohl auf dem Kunstrasen, als auch am Rande. Die Gäste zeigten sich in besserer Form und gingen Dank des Treffers von Sami Alnader bereits in der neunten Minute mit 1:0 in Führung. Doch der SV Blau Weiss steckte nicht auf. In der 18. Minute der Ausgleich zum 1:1, erzielt durch Türker Yilmaz. Zehn Minuten vor der Pause stellte der FC Internationale die Ein-Tore-Führung wieder her. Luis Driemel brachte den Ball zum 2:1 aus Sicht der Gäste im Kasten unter.
Auf in die zweite Halbzeit. Manch einer öffnete seine mitgebrachte Bierpulle, ein Blau-Weiss-Fan im Mantel schlürfte indes genüsslich an seinem Becher Whisky-Cola. Gespräche über die alte Westberliner Zeit und den Ist-Zustand. Wie bereits gesagt, die Angelegenheit wurde hitzig. In der 71. Minute scheinbar ein Foul an einem Blau-Weiss-Spieler vor dem eigenen Strafraum. Schiedsrichterin Mareike Glensk ließ weiter spielen, David Hauser nutzte die Unordnung und lochte zum 3:1 für Internationale ein. Frustrierte Heimfans. Die Hausherren versuchten noch mal alles. Die spielerischen Mittel wirkten an diesem Tage eher bescheiden, doch der Einsatz stimmte. Kurz vor Schluss ein Aufschrei. Elfmeter für Blau Weiss?! Knifflige Sache. Zwei Spieler lagen am Boden. Kein Strafstoß. Wütendes Gepöbel am Rande des Platzes. Unschöne Gesten von Seiten zweier Gästespieler. Jedoch sollte man die Sache nicht auf die Goldwaage legen. Fußball lebt von Emotionen – und diese durften ausgelebt werden, ohne jedoch dabei die Grenzen zu überschreiten.
In der 90. Minute dann noch der 2:3-Anschlusstreffer von Blau Weiss. Die letzte Angriffswelle. Nun noch das 3:3 – und das Szenario wäre perfekt. Der Ball wollte jedoch nicht mehr reingehen, letztendlich blieb es beim Sieg des FC Internationale, der am Ende der vergangenen Saison gemeinsam mit dem SV Blau Weiss aus der Bezirksliga in die Landesliga aufgestiegen war. „Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey!“ Während beim FC Internationale der Ausbau der Tabellenführung gefeiert wurde, gab es auf Heimseite noch ein kurzes Gespräch mit der zierlichen Schiedsrichterin. Böse Worte nach dem Abpfiff fielen jedoch keine, der SV Blau Weiss zeigte sich als fairer Verlierer und blickt nun auf die kommenden Spiele. Noch ist die Saison nicht gelaufen, also auf am kommenden Samstag zum Duell bei Blau-Gelb Berlin!
Fotos: Michael, Marco Bertram