Am kommenden Samstag gehen nun auch endlich die unteren Ligen der Region Zachodniopomorska (West-Pommern) in die Rückrunde. Für neutrale, deutsche Fußballtouristen bietet die Region – im Gegensatz zu früheren Zeiten – kaum noch interessante Anlässe für Kurzausflüge. Betrachtet man die Spielpläne für diesen und den nächsten Spieltag und dreht die Uhr um ein paar Jahre zurück, dann merkt man, wie die Euro 2012 und die Politik das Bild der Stadien veränderten.
Trauriger Fan-Niedergang: Rückrundenstart in den Niederungen des polnischen Fußballs
HotIn der 1. Liga (2. Level) hat Flota Swinoujscie zunächst ein Auswärtsspiel in Leczna. Nur eine Woche später steigt der Hit gegen Arka, so meint man. Seit dem Heimspiel gegen Tychy wird aber wegen des Aussprechens von mehreren Stadionverboten auf den Rängen geschwiegen. Fahnen, die schon ewig hingen, verstießen plötzlich gegen die Stadionordnung. Der Haufen von Flota-Fans, der zur Hinrunde noch auf der Tribüne zu finden war, war nur noch ein Schatten seiner selbst. Mit einer Träne im Auge werden sich die alten Haudegen an die Duelle mit Widzew Lodz, Pogon Szczecin, Kotwica Kolobrzeg oder Wisla Plock erinnern. Den letzten großen Auftritt von Flota gab es in der letzten Saison im Pokal-Viertelfinale in Wroclaw.
Dort, wo früher noch die Fanatiker auf maroden Betonstufen standen, sitzt jetzt ein ganz anderer „Fanatiker“, der einem Bauarbeiter-Helm trägt und wie wild auf eine kleine Trommel haut. Fankultur oder Unkultur? Die unüberdachte Tribüne ist renoviert worden und wurde so gestaltet, dass sich der Anblick nicht mit dem restlichen Stadion beißt. Zahlreiche Touristen gab es hier schon immer. Vielleicht ist das der Grund, weshalb man hier auf eine Fancard verzichten darf. Da müssten ja dann Unmengen an Karten ausgestellt und Daten gespeichert werden. Beliebt ist Swinoujscie bei Gäste-Fangruppen dennoch. Das Publikum im Käfig ist zwar manchmal schon recht durchmischt, aber das obligatorische Strand-Foto ist beliebt wie eh und je. So manch Kur-Tourist dürfte da schon geschluckt haben, wenn da plötzlich gepanzerte Polizisten an den Strand kamen. Sportlich steht Flota nur einen Punkt vor einem Abstiegsplatz, während die Ekstraklasa in der vergangenen Saison schon zum Greifen nah war.
Die 2. Liga, Staffel West, startete auch bereits in die Rückrunde. Blekitni Stargard, das um die Qualifikation zur neuen 3. Liga kämpft, trennte sich von Sosnowiec torlos. Die Polizei und die Wojewodschaft hatten Angst vor den Gästefans, die wohl 300 Sportbegeisterte mitbringen wollten, und beschränkten die Stadionkapazität auf 199 Zuschauer. Der Gästeblock blieb verschlossen. Die überschaubare Fangruppe von Blekitni war in noch kleinerer Anzahl als sonst vertreten. In der sportlich besten Zeit gab es gleichzeitig die stärkste Fangruppe. Dennoch konnten in dieser Saison ein paar Fahrten absolviert werden, bei denen auch die Freunde aus Barlinek teilnahmen.
In der Pommern-Liga (III. Pomorska-Zachodniopomorska, 4. Level) geht es an der Spitze sehr eng zu. Ganz oben steht Drawa Drawsko Pomorskie. Bis zum 7. Platz, den Gwardia Koszalin einnimmt, sind es nur 6 Punkte. Aber ganz ehrlich – wen will man in der 3. Liga sehen bzw. wem traut man eine 3.Liga-Saison ohne Rückzug zu? Baltyk Koszalin, der kleine, ungeliebte Bruder vom großen Gwardia Koszalin, und Kotwica Kolobrzeg lauern schon. Auch Gwardia kann theoretisch noch einmal angreifen. Wörtlich nahmen die Gwardia-Fans es in der letzten Saison, als sie in der Rückrunde beim Derby gegen Kotwica deren Fahne anzündeten. Nach diesem Derby blieb in der Hinrunde das Stadion für diese Begegnung verschlossen.
Fantechnisch stehen bei den drei großen Vertretern aus Zachodniopomorska in der Statistik der Auswärtsfahrer viele Nullen. Die Fahrten sind relativ weit, die Gegner oft nicht attraktiv, sodass Auswärtsspiele einen zu großen Aufwand darstellen, in dessen Resultat möglicherweise der Zielort erst gar nicht erreicht wird, da eventuell der Gegner auf der Strecke lauert oder noch wahrscheinlicher die Polizei, welche alles dafür tut, um die Reisegruppe wieder zurück zuschicken und sogar noch eine persönliche Unterschrift darunter setzt. Das Interesse bzw. die Möglichkeit der Fahrt schwindet. Junge und eventuelle neue Fans werden abgeschreckt. Im Endeffekt werden die Stadien leer, weil die Atmosphäre, die sonst die Einheimischen anlockte, fehlt. Das Spiel-Resultat steht später sowieso im Internet, wozu sich dann noch das Spiel antun…?
In der 5. Liga sieht es ähnlich aus. Hier dominieren die kleinen Vereine Rasel Dygowo und Astra Ustronie Morskie. Es lauern noch einige Vereine mit Chancen. Erstaunlicherweise steht der Urlauber-Ort Wolin nur an 6. Stelle, wo doch die Stadt sehr viel in den Klub Vineta und einen Stadionumbau investiert. Astra wäre ein alter Bekannter im Falle eines Aufstiegs. Die anderen wären Neulinge in der 4. Liga. Die großen Vereine Ina Goleniow, Sarmata Dobra und Dab Debno, welche einst durch Fanaktivitäten auffielen, dümpeln nur vor sich hin. In Szczecinek (beide stiegen 2013 auf) geht es um eine Fusion der beiden Rivalen. Hinsichtlich Atmosphäre und Zuschauerzahl wäre es ein zweites Tczew und natürlich eine fatale Sache.
In Tczew packte die Stadtpolitik auch die Rivalen zusammen. Im Endeffekt steht ein Klub, der von den Einwohnern ignoriert wird. Und die Fans verschwinden durch diese Maßnahmen auch nicht von heut auf morgen, zumal in Szczecinek nun wirklich kein Fanproblem besteht. Ganz im Gegenteil. Wielim Szczecinek wird von jungen, kreativen Leuten geführt. Der Verein ist außerdem sehr im sozialen Bereich engagiert. Es gibt Spendenaktionen für Krebspatienten und regelmäßige Besuche zur Weihnachtszeit im Kinderkrankenhaus. Ob sich die Stadt mit der Eliminierung da wirklich einen Gefallen tut?
Als Pogon Szczecin in der 4. Liga spielte, war die große Zeit der Fanclub-Orte angebrochen. In der aktuellen 6. Liga steht Osadnik Mysliborz vorn. Dem interessantesten Spiel wurde schon zeitig der Zahn gezogen. Die Fans aus Barlinek, wenn es hoch kommt sind das nicht mehr als 40, durften nicht Mysliborz reisen. Sie versuchten es dennoch, aber sie hatten keine Chance. Ein Rückspiel im modernen Stadion von Barlinek wird es nicht geben – der Verein zog zurück. Um den Verfolger aus Chojna steht es nicht schlecht. Der ehemalige Drittligist darf sich Hoffnungen auf den Aufstieg machen, nur interessiert es im Ort keinen. Das Derby gegen Osadnik und zugleich Spitzenspiel hatte den Charme eines Kaffeekränzchen bei nasskaltem Wetter. Kaum Zuschauer, keine Fans. Bei Piast Chociwel, die noch oben mitspielen, sieht es genauso trist aus wie bei ihren Freunden aus Dobrzany. Nowogard überrascht durch eine Ansammlung von Fans. In Przeclaw steht, wie bei vielen anderen auch, Pogon an erster Stelle. Dazwischen steht irgendwo noch Lipiany mit dem kleinen Haufen junger Fans.
In der zweiten Staffel geht es noch ruhiger zu. In den besten Zeiten gab es fast jede zweite Woche ein interessantes Derby oder brisantes Duell. Ähnlich wie in der ersten Staffel orientiert man sich hier eher zu höherklassig spielenden Klubs (Gwardia Koszalin, Lech Poznan). Die Liga ist im Prinzip aktuell fantechnisch tot. An der Spitze steht Bialogard, dessen Fans nicht mehr den einheimischen Verein unterstützen, sondern nur noch Gwardia. Zwischen den vielen kleinen Orten steht noch Darlovia Darlowo, um die es ebenso ruhig geworden ist wie Goscino (Kotwica zugeneigt) oder Bobolice (Gwardia). Olimp Zlocieniec als ehemaliger Garant für interessante Spiele steht auf dem letzten Platz. Ganz ruhig ist es dort noch nicht.
In der 7. Liga tummeln sich Vereine wie Sparta Wegorzyno (Spitzenreiter), Swiatowid Lobez, Kasta Majowe, Jeziorak Szczecin, Mieszkowice, Miroslawiec, MKS Karlino oder Slawno. Die Schicksale sehen hier ähnlich aus – ehemals volle Stadien mit guter Atmosphäre, heute trostloses Gekicke vor ein paar Zuschauern. Wenn es Samstag zum Derby zwischen Kasta und Jeziorak kommt, dann wird es vielleicht noch packend auf dem künstlichen Grün, auf den Rängen fanden die letzten Begegnungen bei Jeziorak kaum noch Beachtung. Kastas kleine Fanszene wird vermutlich traditionell seine Fahnen und Schlachtrufe auspacken.
Das Erschreckende an der Sache ist, dass die geburtenschwachen Jahrgänge den Polen erst noch bevorstehen. Wenn es sich in dieser Region, um die es wirtschaftlich eigentlich nicht so schlecht bestellt ist, jetzt schon so stark ins Negative entwickelt, dann werden die ehemals farbenfrohen Kurven bald komplett Geschichte sein.
Fotos: Michael / turus.net-Bildarchiv