Das Wetter war wie die Stimmung beim Anhang der BSG Chemie Leipzig. Ein Wechselbad der Gefühle im altehrwürdigen Alfred-Kunze-Sportpark bei Regen und durchbrechender Sonne. Zu Gast war die BSG Stahl Riesa und für die Chemiker musste ein deutlicher Sieg her, um sicher in die Oberliga aufzusteigen. Ein einziges Törchen trennten die BSG Chemie und den neu gegründeten und von vielen Seiten kritisierten FC International Leipzig vor dem letzten Spieltag. Nicht wenige befürchteten, dass der FC International beim Heidenauer SV hoch gewinnen würde. Auch wenn Heidenau am 28. Spieltag noch ein passables 1:1 gegen den FSV Zwickau II erkämpft und International beim Tabellenletzten Post SV Dresden mit 0:1 verloren hatte. Für den Post SV war es der erste und einzige Saisonsieg! Und Heidenau war in dieser Saison im Vergleich zum besagten Post SV (minus 61 Tore) und dem Döbelner SC (minus 68 Tore) keine Schießbude. Mit 36 Punkten und einem Torverhältnis von 39:42 belegte der Heidenauer SV vor dem wichtigen Spiel gegen den Klub mit dem Einhorn im Logo immerhin Rang 11. Man müsste erwarten, dass sich Heidenau fair und sportlich verhalten und ernsthaft am letzten Spieltag antreten würde. Eigentlich.
BSG Chemie Leipzig vs. BSG Stahl Riesa: Regen, Sonne und Pyro beim Hoffnungsspiel
HotGanz klar, die BSG Chemie hatte zuvor genügend Möglichkeiten gehabt, um den Aufstieg in halbwegs trockene Tücher zu bringen. So wurde am 06. Juni vor über 2.100 Zuschauern gegen den Mitkonkurrenten Bischofswerdaer FV 08 mit 0:1 verloren. Zuletzt hätte beim „Auswärtsspiel“ im AKS gegen den FC International vor 2.262 Fußballfreunden die Vorentscheidung klargemacht werden können. Hätte, hätte, Leutzscher Fahrradkette. Nach 90 Minuten stand noch immer ein 0:0 auf der alten elektronischen Anzeigetafel, die bereits vor über 20 Jahren bei den RL-Duellen gegen den FC Berlin (BFC Dynamo) und den 1. FC Union Berlin den Ergebnis-Stand aufleuchten ließ. Im Prinzip war nach diesem Spiel klar: Das war es dann wohl. Stahl Riesa wird im Gegensatz zum Heidenauer SV auf gut Deutsch gesagt richtig Bock haben. Ein hoher Sieg würde sehr schwer werden.
Und trotzdem. Oder eben jetzt erst recht. Über 3.000 Freunde des Leutzscher Fußballs hatten sich am Samstagnachmittag auf den Weg zum Alfred-Kunze-Sportpark gemacht und sich bei Regen an die langen Schlangen vor den Kassen gestellt. Als kurz vor 15 Uhr die Chemie-Fans die große Choreo präsentierten und die Stahl-Fans im Gästeblock ein Spruchband mit der Aufschrift „Die BSG wird niemals untergehen“ hochhielten, erklärte der Stadionsprecher, dass die Partie wegen der noch draußen stehenden Bummelanten 15 Minuten später angepfiffen wird. Die langen grünen Bahnen wurden auf dem gewaltigen Norddamm, der einst im Jahre 1967 aus den Trümmern von im Krieg zerstörten Häusern errichtet wurde, an den Köpfen vorbei sorgsam abgelegt. Vor Anpfiff herrschte eine interessante Atmosphäre im Stadion, das bereits in den 20er Jahren errichtet wurde und anfangs vom Vorgängerverein SV TuRa 1899 genutzt wurde.
Genau jener SV TuRa empfing Mitte der 30er Jahre vor über 16.000 Zuschauern den Riesaer SV. Vor dem gestrigen Sachsenliga-Spiel gegen die BSG Stahl Riesa konnte man auf der uralten maroden Holztribüne sitzen, die Blicke schweifen lassen und an alte Zeiten denken. Keine nervende Musik störte. Nur das Murmeln der wartenden Zuschauer war zu vernehmen. Herrlich! Zwei jugendliche Ordner achteten sorgsam darauf, dass nicht zu viele die hölzerne Tribüne betraten. Die äußeren Bereiche wurden bereits gesperrt. Kurios indes, dass mehrere Zuschauer genüsslich ihr Zigarettchen rauchten und mal eben auf die arg trockenen Bretter aschten. Wie war das noch mal in Bradford? Eine Zigarette fiel durch einen Spalt und entfachte unter der Tribüne ein Feuer, das dann sehr rasch auf den gesamten Bereich übergriff und für die Valley-Parade-Feuerkatastrophe sorgte?!
Die aufkommenden Gedanken an eine brennende Leutzscher Tribüne wurden dann jedoch mit einem Mal weggewischt. Die Mannschaften liefen auf, die große Choreo (Alles für die BSG Chemie) wurde noch einmal präsentiert und der Stadionsprecher sorgte bei den Zuschauern für einen nostalgischen Moment. Der berühmte Wechsel mit den Fans: „Zicke Zacke, Zicke Zacke!“, „Hoi, hoi, hoi!“, „Chemie Leipzig! Chemie Leipzig!“, „Vor vor vor!“, Einer für alle!“, „Alle für einen!“, „Alles für die BSG Chemie!“ Das Spiel konnte beginnen. Die Fans hofften auf eine rasche Führung, doch diese sollte es nicht geben. Unterstützt von den rund 80 angereisten Gästefans spielte Stahl Riesa mit und machte es den Gastgebern schwer. Nachdem im AKS rund 20 Minuten gespielt waren, tickerte die ersten Nachrichten rein. Der FC International führte in Heidenau bereits mit 2:0. Kurz vor der Pause legte International vor sage und schreibe 123 Zuschauern auf dem Sportplatz Am Sportforum zum 3:0 nach.
Logisch, dass man in der Halbzeitpause auf den Rängen enttäuschte Gesichter sah. Der Stadionsprecher munterte die Fans jedoch auf. Die erfolgreichen Nachwuchsmannschaften wurden auf den Rasen geführt. „Die kleinen Chemie-Schweinchen, möchte man schon fast sagen …“ haben eine gute Saison gespielt, erklärte der Stadionsprecher und betonte, dass man stolz auf das sein könne, was man im Leutzscher Holz auf die Beine gestellt hatte. Ganz egal, wie die Sache am heutigen Tag ausgehen möge. Man habe schließlich einst bei Null angefangen. Wohl wahr. Und kurz nach der Pause keimte sogar Hoffnung auf. Innerhalb von zwei Minuten machte Louis Engelbrecht zwei Tore und es stand in der 49. Minute 2:0 für die BSG Chemie. Hochgerissene Arme. Da ging vielleicht noch was. Als jedoch drei Minuten später André Köhler aus der Kalten den Anschlusstreffer für die BSG Stahl Riesa besorgte und weitere erbärmliche Nachrichten aus Heidenau eintrudelten, war das Spiel gelaufen.
Stahl Riesa konnte das Spiel sogar noch drehen und im Gästeblock wurden zum Teil sehr massive Oberkörper freigelegt. Regen setzte ein, doch das war beiden Seiten egal. Im Gästekäfig ging die Post ab (immer wieder ertönte ein „Eisern Riesa!“) und im Heimbereich wurde der Support unbeirrt fortgesetzt. Erste Bengalos wurden gezündet, Rauch erhob sich über dem Norddamm. Der Himmel über Leutzsch weinte und die Fans feierten ihre Mannschaft, ihren Verein. Zum Abpfiff brach wieder die Sonne durch und die chemische Anhängerschaft zeigte noch einmal, was sie drauf hat. Eine Pyro-Show zum Saisonabschluss. Minutenlang wurde mit der Mannschaft gefeiert. Man lebt. Es wird weiter gehen. Jetzt erst recht. Mag manch ein Leipziger Politiker und Unternehmer den aus dem Nichts erhobenen FC International Leipzig unterstützen, der quasi keine Fans hat (gegen Eilenburg kamen gerade einmal 150 Verwegene zum Sportplatz Tresenwald, gegen Görlitz waren es zuvor 71), in Leutzsch wird man die Arbeit fortsetzen und ganz gewiss in absehbarer Zeit den Sprung in die Oberliga packen. Zum 0:7 des Heidenauer SV sei nur eins gesagt: So was muss echt nicht sein!
Ergänzung: Auf der Heimfahrt hatten 4 Fans der BSG Stahl Riesa auf der A14 einen Verkehrsunfall, bei dem sie schwer verletzt wurden. Alles Gute und baldige Genesung!
Fotos: Marco Bertram
Ligen
Benutzer-Kommentare
"Stahl Riesa konnte das Spiel sogar noch drehen und im Gästeblock wurden zum Teil sehr massive Oberkörper freigelegt"
Gegen eine hochmotivierte Spitzenmannschaft darf das nicht passieren!
Internationale hat nicht mal Zuschauer. Eine Schande für die Oberliga!
Ab Oberliga sollte die Ligazugehörigkeit über einen Koeffizienten aus Tradiotionsgrad sowie Zuschauerschnitt ermittelt werden!
Wie kann sich Heidenau nur erdreisten zu verlieren?
Trotz der Niederlage ein schöner Nachmittag in Leipzig-Leutzsch.
Alles für die BSG Chemie, alles!
Gruß aus Leipzig
Tiger