Adrenalin auf Anschlag, motiviert bis in die Haarspitzen. Besonders der Magdeburger Anhängerschaft war die Anspannung kurz vor dem Anpfiff im Rostocker Ostseestadion anzumerken. Wochenlang wurde über dieses Duell gesprochen. Im Fokus hierbei: Das Geschehen auf den Rängen. Wer wird sich besser präsentieren können? Wer ist in der Region Nordost neben der SG Dynamo Dresden fantechnisch ganz oben anzusiedeln? Eher die Rostocker Fanszene, die aufgrund all der Jahre im Profifußball äußerst eingespielt ist? Oder doch die Magdeburger Fanszene, die nach dem lang ersehnten Aufstieg in die 3. Liga derzeit auf einer Euphoriewelle schwimmt? Manch einer sprach im Vorfeld sogar von DEM Spiel der laufenden Drittligasaison. Der Hauptgrund: Beide Vereine trafen seit 25 Jahren nicht mehr aufeinander. Die eine oder Reiberei zwischen den Anhängerschaften gab es nur abseits des Fußballbetriebs. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb es ein paar Magdeburger gar nicht abwarten konnten, nach der eigentlichen Choreo all die Rostocker Materialien zu präsentieren und zu verbrennen, und somit für eine äußerst brenzlige Situation zu sorgen, die zu einer viertelstündigen Spielunterbrechung führte.
F.C. Hansa Rostock vs. 1. FC Magdeburg: Choreos, Pyro, Eskalation und Punkteteilung
HotDer Reihe nach. Während dem einen oder anderen das Backfischbrötchen am Alten Strom in Warnemünde schmeckte, wurde der heranrollende, von der Magdeburger Fanszene selbst organisierte Sonderzug auf der Strecke attackiert. Steine und mit Farbe gefüllte Feuerlöscher wurden auf den Zug geworfen, einige Scheiben gingen zu Bruch. Glücklicherweise gab es (soweit bekannt) keine ernsthaft Verletzten. Wie bereits in der Vergangenheit wurde hierbei ein Level erreicht, das höchst bedenkliche Ausmaße hat. Erstaunlich ruhig indes verlief die Ankunft des Sonderzuges am Rostocker Hauptbahnhof. Gitter und aufgehängter schwarzer Stoff verhinderten im Bahnhof ein Aufeinandertreffen. Die angereisten FCM-Fans wurden zur Südseite geführt, wo aus Mannschaftswagen ein großer Kessel gebildet wurde. Ohne Probleme konnten die Magdeburger in die bereit gestellten Shuttlebusse steigen und anschließend zum Ostseestadion fahren.
Das Wetter am gestrigen Abend? Perfekt! Am späten Nachmittag war am Himmel eine deutliche Wetterkante erkennbar. Westlich war der Himmel frei, gen Osten waren dunkle Wolken zu sehen. Zum Glück schob sich diese Kante weiter nach Osten, so dass das Nordost-Duell bei trockener Witterung über die Bühne gehen konnte. Während hinter der Südtribüne der Mond aufging, herrschte in den beiden Blöcken gespenstische Stille. Um 20:08 Uhr gab es dann ein erstes Einklatschen. „Hier regiert der FCM!“ An der Plexiglasscheibe wurden die Banner „Für immer 1. FC Magdeburg“ und „Block U“ befestigt. Auf der Süd liefen die Vorbereitungen für die geplante Choreo. Der Anlass: Das 10-jährige Bestehen der Gruppierung „Fanatics“. Als gegen 20:15 Uhr auf der Süd die blauen und weißen Leibchen übergezogen wurden, kamen beide Seiten langsam auf Betriebstemperatur. Einwippen auf der Süd. Eine lautes „Einmal Blau-Weiß, immer Blau-Weiß“ im gefüllten Gästeblock.
Während der Marteria-Song über die Boxen abgespielt wurden, ertönte „Wir woll´n Hansa siegen seh´n!“ Für das beliebte „Hansa forever!“ blieb an diesem Abend kaum Zeit. Die Mannschaften liefen auf und im Gästeblock wurden die extra angefertigten dunkelblauen Schals hochgehalten. Gut verteilt wurden zudem blaue Flammen gezündet. Aus neutraler Sicht - das generelle Verbot von Pyrotechnik mal außen vor gelassen - würde man sagen: Das sah gelungen aus! Auf der Südtribüne setzten etwas zeitverzögert die Hansa-Fans ihre Choreo um. „10 Jahre - Legal - Illegal - Scheißegal“. Dazu stieg schon bald massig weißer und blauer Rauch auf, dazwischen blinkerte es an einigen Stellen. Da zur Süd hin im Gästeblock nach der eigentlichen Choreo nun auch noch einige rote Bengalen angerissen wurden, stand schon bald das gesamte Stadion im weißen Dunst. Es schien, als hätte eine von der nahen Ostsee gekommene Nebelbank das Stadion heimgesucht. Die Spieler verharrten auf dem Rasen, die Partie musste kurz unterbrochen werden. Zum einen war die Sicht recht miserabel, zum anderen ließ man somit den Spielern die Möglichkeit, sich das Trikot über Mund und Nase zu ziehen.
Während auf dem Rasen der weiße Rauch stand, knüpften einige Magdeburger reichlich gezogenes Material an die Plexiglaswand und das gespannte Netz. Darunter befand sich eine recht große Hansa-Fahne. Es ließ nicht lange auf sich warten, bis der Stoff mit einem Bengalo angezündet wurde. Schon bald stand alles in Flammen und auf der Süd platzte nun manch einem Rostocker der Kragen. Nachdem vor dem Spiel eine Gruppe Magdeburger vor dem Stadion mit Pyro posiert haben soll, war nun aus Sicht der aktiven Hansa-Fans das Maß voll. Die Banner wurden gehoben und in der Pufferzone kam Bewegung auf. Drei, vier Rostocker gelangten sogar bis an die untere Ecke des Gästeblocks. Leuchtkugeln flogen, Böller detonierten, polizeiliche Einsatzkräfte rückten an - die Mannschaften wurden in die Kabinen geschickt.
Nachdem die Pufferzone wieder geräumt war und sich die Situation nach und nach beruhigt hatte, konnte nach rund einer Viertelstunde weitergespielt werden. „Sieg!“, hallte es nun brachial von der Süd. „Vorwärts Magdeburger Jungs!“, ertönte es aus dem Gästeblock. So recht in Fahrt kommen wollte das Spiel auf dem Rasen nicht. Die Spieler wirkten gelähmt und auch auf den Rängen schien nun ein wenig die Luft raus. Eine merkwürdige Atmosphäre lag nun in der Luft. Nachdem am Ende der ersten Halbzeit der 1. FCM etwas mehr Druck ausüben konnte, ging es mit dem Spielstand von 0:0 zum Pausentee.
Richtig laut wurde es kurz nach Wiederanpfiff. Hansa machte nun richtig Dampf. In der 48. Minute gelangte der nach einem Schuss von Perstaller von FCM-Keeper Glinker parierte Ball an den Fuß von Nils Butzen und von dort aus ins eigene Gehäuse. 1:0 für den F.C. Hansa. Auf den Rängen brachen emotionale Dämme. Auf der Südtribüne wurden vor lauter Freude ein paar Bengalen gezündet. Wenn schon, denn schon, dachte man sich wohl. Für große Freude sorgte dies beim restlichen Publikum nicht. Von den anderen drei Tribünen waren laute Pfiffe zu vernehmen. Nicht noch einmal sollte das Spiel unterbrochen werden.
In der Folgezeit war auf den Rängen die Stimmung in beiden Fanbereichen richtig gut. Auf dem Platz war nun das Visier oben und in den Blöcken klatschte, rasselte und trommelte es in einer Tour. Zu sehen gab es auf der Süd noch ein Spruchband bezüglich des Vorverkaufs. Da die Tageskassen nicht geöffnet wurden, waren es letztendlich 16.300 Zuschauer, welche dieses Spiel sahen. Für aus der Ferne kommende Fans oder neutrale Besucher, die nicht in Mecklenburg-Vorpommern wohnen, gab es somit in der Regel keine Möglichkeit dieses Duell zu sehen. Ausgenommen natürlich der ausverkaufte Gästeblock.
In der 68. Minute gab es den nächsten emotionalen Ausbruch. Sorgsam bereiteten die Magdeburger einen Freistoß vor. Mit Erfolg. Burak Altiparmark setzte das Spielgerät gekonnt oben rechts rein. Das konnte sich sehen lassen. Party nun im Gästeblock. Totales freudiges Ausrasten. Manch ein Magdeburger hing an den Netzen, doch auf der Süd ließ sich nun niemand mehr provozieren. Die folgenden Minuten bis zum Abpfiff waren wirklich ansehnlich. Hansa spielte auf Sieg und wollte sich keinesfalls mit einem Punkt gegen den Aufsteiger aus der Börde begnügen. Erst wurde ein Tor wegen Abseitsstellung nicht gegeben, dann segelte der Ball knapp am Kasten vorbei. Hansa hatte in der Schlussphase nicht das nötige Quentchen Glück und somit konnte Magdeburg das Remis über die Zeit bringen.
Groß die Freude bei den Spielern und Fans des 1. FC Magdeburg, gemeinsam wurde nach Abpfiff das 1:1 gefeiert. Ernüchterung und Enttäuschung auf Rostocker Seite. Auf direktem Wege verschwanden die Hansa-Spieler in die Kabinen, für den Support wurde sich an diesem Abend nicht bedankt. Während die FCM-Fans noch einige Minuten im Block blieben, leerten sich die Heimränge recht rasch. Geraume Zeit nach dem Spiel sammelte sich auf der Kopernikusstraße ein komplett schwarz vermummter Mob, der zuerst in Richtung Parkstraße lief, dann jedoch kurzzeitig ins Wohngebiet abbog.
Etwas später tauchte diese gespenstisch anmutende Truppe am Kreisverkehr an der Schillingallee vor der dortigen Polizeiabsperrung auf. Nachdem unter den Scheinwerfern der bereitstehenden Polizeifahrzeuge einige Gegenstände und Leuchtkugeln flogen, marschierte die Truppe strammen Schrittes in Richtung Fußgängerbrücke, die am S-Bahnhof Parkstraße über die Gleise führt. „Zusammen bleiben!“, rief jemand den anderen Vermummten zu. Auf der anderen Seite der Bahnlinie eilte die Gruppe am dortigen Polizeirevier vorbei. Dieses soll laut anderen Medienberichten später noch angegriffen worden sein.
Was bleibt? Eine gewisse Ratlosigkeit. Zumindest in Rostock. Während der 1. FC Magdeburg sicherlich recht rasch zur Tagesordnung übergehen und sich auf das kommende Heimspiel gegen den FC Energie Cottbus vorbereiten wird, dürfte es beim F.C. Hansa noch einige interne Diskussionen geben. Auf dem Spiel steht die Südtribüne. In der Vergangenheit wurde diese bereits einmal für längere Zeit gesperrt. Einiges aufzuarbeiten haben auch die Behörden. Viel Zeit zum Durchatmen bleibt nicht - bereits am 03. Oktober ist kein Geringerer als die SG Dynamo Dresden zu Gast im Ostseestadion …
Anmerkung 18 Uhr: Nach Stand der Dinge bleibt beim Heimspiel gegen die SG Dynamo Dresden am 03. Oktober 2015 die Südtribüne geschlossen. Bereits verkaufte Tickets werden nicht ersetzt.
Fotos: Marco Bertram