Vereine schließen ihre eigenen Kurven, Vereine rufen zu Zeugenaussagen auf, Gästeblöcke bleiben geschlossen, hohe Auflagen führen zum Boykott, Fandemos werden verboten, große Unternehmen stellen Engagement in Frage. Der Tonfall wird mitunter rauer, das gesamte System gerät beachtlich ins Wanken. Man müsste naiv sein, um nicht zu erkennen, dass die kommenden Zeiten nicht leichter werden. Überraschend kommt das Ganze wahrlich nicht. Dass es nach dem Abschluss des DFL-Sicherheitspapieres (Stichwort 12:12) für aktive Fanszenen ungemütlicher werden würde, war zu erwarten. Interessanterweise tritt genau das ein, was viele befürchtet hatten. Die Vereinsführungen selbst drehen mitunter die Schrauben fester und sorgen für reichlich Diskussionsstoff. Waren es in der Vergangenheit DFL / DFB sowie in den unteren Ligen die einzelnen Landesverbände, die mal eben die Keule schwenkten und Strafen verhängtem, so sind es dieser Tage häufig die Vereine selbst, die den eigenen Fanszenen ordentliche Knüppel in den Weg legen und mit deutlichen Worten für Angst und Schrecken sorgen.
Selbstzerfleischung und letztes Zucken der Fankurven: Der Zenit ist überschritten
HotStellte sich beispielsweise die Vereinsführung des 1. FC Magdeburg nach den Vorfällen beim Auswärtsspiel in Rostock hinter die eigenen Fans (deutlich kritisiert wurde nur das Abbrennen der feindlichen Materialien), so wird das Ganze beispielsweise bei Wacker Burghausen und den Stuttgarter Kickers ganz anders gehandhabt. Nach dem Abbrennen von Pyrotechnik beim RL-Auswärtsspiel beim SSV Jahn Regensburg gab es in Burghausen eine saftige Erklärung zu lesen. Und es blieb nicht bei der Erklärung. Gemeinsam mit dem Stadioneigentümer (und der Stadt) wurde beschlossen, die WEST-Tribüne zu schließen und das Mitnehmen von Schwenk- und Zaunfahnen zu verbieten. Auf das Schärfste distanzierte sich der Verein von den Vorfällen in Regensburg. Es wurde alles in die Erklärung hineingepackt, was sonst in den Boulevard-Medien zu finden ist. „Chaoten“, „Gewalttäter“, „Unruhestifter“. Zu Unrecht würden sich die Pyro-Zündler als Fans des SV Wacker bezeichnen. Unter anderen heißt es wortwörtlich: „Wir bedauern die Entwicklung umso mehr, als neben dem sportlichen Erfolg in dieser Saison auch die Fankultur ins Stadion zurück gekehrt ist. … Wir, die Verantwortlichen in Stadt und Verein werden alles daran setzen, den Fußballsport in Burghausen vor solchen Entwicklungen in Schutz zu nehmen und fordern all die echten! Anhänger des Burghauser Fußballs auf, dabei mit uns eng zusammen zu arbeiten.“
Man hätte meinen können, in Regensburg sei der Bürgerkrieg ausgebrochen. Da nutzte es auch nichts, dass der Wacker-Trainer nach dem Spiel auf der Pressekonferenz erklärt hatte: „„Kompliment an die Unterstützung der Wacker-Fans – die haben auch alles gegeben, sind vielleicht mal ein Stück weit darüber hinweggegangen über die Grenze, aber das passiert halt mal.“ Mit moderaten Tönen möchte sich der SV Wacker indes nicht zufrieden geben. Tief wird der Keil getrieben zwischen den „echten Fans“ und den „Chaoten und Gewalttätern“. Was das bringen soll, weiß man als Außenstehender nicht. Würden die aktiven Fans dem Verein von einem Tag zum anderen den Rücken zukehren, wäre bei Heimspielen tote Hose. Wir sprechen schließlich von der Regionalliga Bayern, die in der Regel von Hause nicht hohe vierstellige Zuschauerzahlen anzieht. Und ja, wie oft war die aktive Fanszene des SV Wacker in den letzten Jahren negativ aufgefallen? Als Epizentrum der Gewaltexzesse war bislang Burghausen nicht bekannt. Ganz klar war das Auswärtsspiel in Regensburg DAS Auswärtsspiel des Jahres. Und ja, der Einsatz von Pyrotechnik ist nicht legal. Gibt es Strafen vom Verband sollte sich die Ultras / die aktive Fans Gedanken machen und die Büchse rumgehen lassen. Schließlich wird vor allem der finanzielle Schaden ganz nach vorn geschoben.
Stichpunkt Strafe. Genau diese führte auch das Präsidium der Stuttgarter Kickers auf. Zuletzt musste im Dezember 2014 eine Strafe von 1.500 Euro (Vorfälle gegen Regensburg) gezahlt werden. Zuvor waren es 2.500 Euro, die im September 2013 (gegen Heidenheim) fällig waren. Logisch, auch 2.500 Euro sind viel Geld, jedoch lässt sich dieses Geld an einem Spieltag mit 200 mehr Zuschauer wieder einspielen. Auch hier gilt: Wie in großen Fanszenen sollte die Büchse in der Kurve einmal rumgehen. Schließlich wird auch für Choreos gesammelt. Solch eine Summe ließe sich immer aufbringen. Oder der eigene Verein legt den Mantel des Schweigens drüber und klärt das intern mit konstruktiven Gesprächen. Die Modelle in Magdeburg und bei Union Berlin haben überaus gut funktioniert. Besonders beim 1. FC Magdeburg war es in der Vergangenheit sehr erstaunlich, wie sachlich und unaufgeregt mit den Pyro-Aktionen der eigenen Fanszene umgegangen wurde. Demzufolge sprangen auch die regionalen Medien nicht auf den „Gewalttäter-Zug“ auf. Und ganz klar: Wir sprechen hier von einem kontrollierten Abbrennen der Pyrotechnik. Wären bengalische Fackeln oder gar Leuchtkugeln gezielt in die gegnerische Fanblöcke gefeuert worden, hätte es auch beim 1. FCM recht deutliche Statements gegeben.
Bei den Stuttgarter Kickers feierte die Ultragruppierung „Blaue Bomber“ jüngst beim Heimspiel gegen die SG Sonnenhof Großaspach ihren Geburtstag. Zu sehen gab es eine Choreo und aufsteigenden Rauch. Über eine schmucke Choreo freut sich auch der Verein, schließlich schmückt derzeit ein Foto von einer Choreo die Startseite der offiziellen Webseite. Wehe aber, Rauch kommt dazu. In diesem Fall gibt es eine saftige Erklärung. Gesucht werden nun Zeugen, die Auskunft zu den Tätern machen. Auf gut Deutsch gesagt: Eigene Fans sollen andere Fans anscheißen, um es mal richtig polemisch auf den Punkt zu bringen. In Frage gestellt wird zudem, ob in Zukunft die Räumlichkeiten im Jugendhaus zur Vorbereitungen für Choreos und andere Fanaktionen genutzt werden dürfen. Muss das sein? Ließe sich auch hier nicht alles intern besprechen? Bei solch einem Verein mit überschaubarer Fanszene sollte das doch möglich sein. Man lädt die Führungspersonen der aktiven Fanszene zu einer Gesprächsrunde beim Kaffee ein und berät solche Dinge.
Ausgrenzen, in der Öffentlichkeit bloßstellen, mit hartem Wortschatz betiteln, sich komplett distanzieren, mit drakonischen Strafen drohen. Was soll das bringen? Was soll bei einem 20-jährigen Ultra im Kopf vorgehen, wenn er so was liest, so etwas zu hören bekommt? Wenn der sich mal alte Videos und Fotos anschaut und Gespräche mit älteren Fans über die „gute alte Zeit“ führt, wird dieser nur den Kopf schütteln und sich fragen, in welcher Zeit er denn lebt. So lange aktive Fangruppierungen hübsch nach der Pfeife tanzen, sind diese gut genug den Kasperle zu spielen und hübsch für Stimmung zu sorgen. Werden bestimmte Grenzen überschritten, werden sogleich die Keulen aus dem Sack gezogen. Warum so dünnhäutig? Möchte man dem Verband zeigen: Hey schaut, wir tun was!? Im Fall F.C. Hansa Rostock machte die selbst beschlossene Schließung der Südtribüne beim brisanten Heimspiel gegen die SG Dynamo Dresden durchaus Sinn, um Schlimmeres abzuwenden und einer vielleicht noch härteren Strafe vom DFB zuvor zu kommen. Doch in Burghausen? Es scheint ein tiefer Schnitt ins eigene Fleisch zu sein.
Schön sind die Entwicklungen so oder so nicht. Geschlossene Gästeblöcke bei der Partie VfL Osnabrück vs. SC Preußen Münster und beim Rückspiel im kommenden Frühjahr. Ein Boykott zahlreicher Gruppierungen des FC Schalke 04 beim kommenden Revierderby in Dortmund. Es wurde bereits mehrfach drüber gesprochen, nun scheint es jedoch der Fall zu sein. Die Daumenschraube wurde überdreht. Jahrelang war in den einschlägigen Medien von Ausuferungen der Gewalt zu lesen. Immer wieder wurden die gleichen Phrasen gedroschen. Alles sei viel schlimmer geworden. Und und und. Wohin wir uns bewegen? Ganz klar, zum „sauberen Fußball“, der irgendwann eigentlich nur noch auf dem TV-Bildschirm relevant ist. Welche Rollen dann die 3. Liga und geschweige die Regionalligen spielen sollen, bleibt indes ungeklärt. Immer wieder wird versucht, auch RL-Partien im Fernsehen zu übertragen. Der Widerstand von Seiten der Fanszenen ist groß. Wer möchte einen Viertligakick auf dem Bildschirm sehen? Ein Witz! Unterklassiger Fußball lebt allein vom Erlebnis vor Ort. Und zwar ohne tief hängendem Damoklesschwert.
Was ist Fußball in der 3. Liga oder in den Regionalligen noch wert, wenn ganze Kurven und Blöcke voreilig geschlossen bleiben und Gästefans von Vornherein ausgesperrt werden? Quasi gar nichts! Die Zuschauerzahl beim Duell Osnabrück vs. Münster sprach Bände. Und das würde erst der Anfang sein. Von unten würde es arg bröckeln. In der 2. und 1. Bundesliga würde der Fußball sicherlich als reines Event mit vollen Rängen überleben. Die viel zitierte Fankultur wird jedoch auch im Oberhaus eines Tages tot sein, wenn die Entwicklungen ihren weiteren Lauf nehmen.
Die Krone setzt dem Ganzen die Ankündigung des angekündigten Sparkurses beim VW Konzern auf. Das Engagement im Fußball stehe auf dem Prüfstand, ist aktuell zu hören. Nach dem Skandal um die manipulierten Abgaswerte könnte es finanziell eng werden bei VW. Im Härtefall könnten Zahlungen an den VfL Wolfsburg gestrichen werden. Betroffen wären jedoch nicht nur die Wolfsburger, schließlich steckt der Konzern quasi in der gesamten Bundesliga drin. Zwar wurde bislang der VfL Wolfsburg nicht namentlich genannt, doch warten wir mal die kommenden Monate ab. Kommen generell noch ein, zwei Probleme hinzu - ein Einbruch der Konjunktur, noch ein Skandal bei einem weiteren Unternehmen -, könnte es auch auf anderem Wege zu erheblichen Problemen kommen. Dann wäre es auch schwierig, in Wolfsburg und an anderen Standorten den Fußball als Event optimal zu vermarkten. Die generelle Tendenz: Düster, sehr düster. Ein klares Indiz dafür: Die verschärfte Wortwahl. Die immer mehr verhärteten Fronten. Die zunehmende Beschneidung der Rechte der Fußballfans. Noch gibt es überaus erfreuliche Ausnahmen, doch wenn auch dort der Druck des Verbandes und der Massenmedien zunehmen würde, könnten auch in jenen Fällen der Tonfall rauer und die selbst auferlegten Maßnahmen härter werden …
Fotos: DKZ, Sebastian, Marco Bertram, Karsten Höft, Arne Amberg
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