Die Hinrunde der jetzigen Drittligasaison neigte sich dem Ende zu, als mächtig in die Tasten gehauen wurde. Ein ausführlicher Rückblick auf die bisherigen Ostduelle der „DDR-Oberliga 2.0“ sollte her. Dieser erschien kürzlich in der Ausgabe 38 des „Blickfang Ultrà“. Die wichtigste Frage, die ich mir beim Schreiben kurz vor Jahresende gestellt hatte: Hielt die mit Hochspannung erwartete Spielzeit der 3. Liga die Erwartungen? Aber auch folgende Fragen wurden abgearbeitet: War der 1. FC Magdeburg wirklich das fehlende Puzzlestück? Welche Duelle waren bislang die stimmungsvollsten und emotionalsten? Was genau geschah bei dieser und jener Partie? Inwieweit hielten die jeweiligen Fanszenen die Füße still? Wo hatte es am derbsten gekracht? Hier also der Bericht, der wie angesprochen in der aktuellen Ausgabe des wirklich lesenswerten Heftes „Blickfang Ultrà“ zu finden ist:
DDR-Oberliga 2.0: Rückblick auf die bisherige 3. Liga-Saison
Hot„Was meinst du, Marco? Also von Magdeburg hätte ich in Dresden mehr erwartet! Du etwa nicht?“, „Sah ja nicht schlecht aus die Blockfahne, aber ich hätte gedacht, da kommt jetzt sonstewas!“ Was soll man sagen? Beim Drittligaduell SG Dynamo Dresden vs. 1. FC Magdeburg wurde auf Heimseite die größte jemals in Europa angefertigte Blockfahne hochgezogen, im Gästeblock gab es eine hohe Mitmachquote und schwarz vermummte Magdeburger im unteren Bereich. Manch einem neutralen Fußballfreund schien dies jedoch nicht genug. Bei solch einem brisanten Ost-Duell müsste es einfach übelst scheppern, die gegenseitigen Provokationen dürften einfach nicht aufhören und am besten müsste ein Rauchtopf nach dem anderen gezündet werden. Extrem hoch war die Erwartungshaltung vor der laufenden Drittligasaison, viele erwarteten bei dieser brisanten Liga-Zusammenstellung einen Spielabbruch nach dem anderen.
Dass es bei den Ost-Duellen eine erhöhte Betriebstemperatur geben wird, war in der Tat zu erwarten, doch dass es zur totalen Eskalation kommen würde, vermutete ich persönlich nicht. Zu viel würde auf dem Spiel stehen. Dass es diverse Aktionen und den punktuellen Einsatz von Pyrotechnik geben wird, war klar, doch im Großen und Ganzen werden die Fanszenen eher die Füße still halten und nicht die eigenen Vereine ins Verderben stürzen, indem es zu Gewaltexzessen innerhalb der Stadionmauern kommt. Die „guten alten Zeiten“, in denen man den Emotionen völlig freien Lauf ließ und auch schon mal eine Hochsprunganlage in Brand steckte, sind nun mal vorbei. Ihr wisst, was ich meine.
Dass die Vorfreude auf die laufende Spielzeit riesig war, ist jedoch unbestritten. Mit dem 1. FC Magdeburg kam das fehlende Puzzlestück hinzu. Nach 25 Jahren Amateurfußball war der 1. FCM reif für den Aufstieg. Aber was heißt „reif“? Dieser Aufstieg war überfällig! Mit dieser Fanszene und der spürbaren Euphorie war es keine Frage, dass dieser Verein die 3. Liga bereichern wird. Und die blau-weiße Anhängerschaft hielt die Erwartungen, bei den Heimspielen übertraf sie diese sogar. Mit solch einem Lärm und einer Mitmachquote auf sämtlichen Tribünen konnte nicht gerechnet werden.
Mit dem hungrigen, nach großen Spielen lechzenden Aufsteiger aus der Börde und dem Absteiger FC Erzgebirge Aue sind es nun sage und schreibe acht Vereine aus der Region Nordost, die in der 3. Liga dabei sind. Sämtliche Vereine waren in der letzten echten DDR-Oberligasaison 1989/90 mit dabei. Meister wurde damals die SG Dynamo Dresden. In der Folgesaison, die ab Oktober 1990 die Oberliga des NOFV wurde, konnte bekanntlich der F.C. Hansa Rostock den Titel holen. Kein Wunder also, dass bei der derzeitigen 3. Liga von der DDR-Oberliga 2.0 gesprochen wird. Mit dem BFC Dynamo, dem FC Carl Zeiss Jena, dem 1. FC Union Berlin (derzeit in der 2. BL das Fähnchen hochhaltend), dem 1. FC Lokomotive Leipzig und der BSG Chemie Leipzig fehlen eigentlich nur fünf Vereine, die in den 1980ern dauerhaft eine wichtige Rolle gespielt hatten. Mit dem BFC oder Jena könnte durchaus in der kommenden Saison ein weiterer ehemaliger DDR-Oberligist nach oben rücken, allerdings ist zu erwarten, dass die Sportgemeinschaft Dynamo einen Abflug in Richtung 2. Bundesliga machen wird. Also betrachten wir lieber den Ist-Zustand und blicken auf die zurückliegenden Monate. Um das Ganze übersichtlicher zu gestalten, gehen wir chronologisch durch und picken die Highlights heraus.
Am DFB gibt es ganz gewiss einiges zu kritisieren, doch beim ausgearbeiteten Spielplan darf auch einmal ein Lob ausgesprochen werden. Das Duell 1. FC Magdeburg vs. FC Rot-Weiß Erfurt am Freitagabend als Saisonauftakt zu nehmen, war eine perfekte Wahl. „Heiß auf Liga 3“ war auf einem Magdeburger Spruchband zu lesen. Mit einem Fußmarsch läuteten die FCM-Fans die mit Hochspannung erwartete Saison ein. Über die Elbe-Brücken ging es geschlossen gen Stadion. Allerdings hatte jemand einen falschen Rauchtopf eingepackt. Eine rötliche Wolke zog über die Marschierenden hinweg. Apropos Rot. Alle in Rot, hieß es bei den Gästen. Und der Großteil der rund 1.800 Erfurter Fußballfreunde kam diesem Aufruf nach. Wie bereits beim Landespokal-Halbfinale gegen den Halleschen FC blieb der eigentliche Gästeblock geschlossen und die Gästefans mussten mit der Sitzplatztribüne hinter dem Tor vorliebnehmen. Diese Regelung galt für sämtliche Heimspiele des 1. FC Magdeburg, selbst der Mini-Haufen von Wehen-Wiesbaden durfte dort seinen Platz einnehmen.
Ordentlicher Support auf beiden Seiten, insgesamt 21.079 Zuschauer sorgten für eine phantastische Fußballatmosphäre. Zu Beginn wurden drei negative Höhepunkte der jüngeren Vergangenheit präsentiert. In der Mitte die Anzeigetafel des alten Ernst-Grube-Stadions. Oberliga Süd 2002/03. 1. FC Magdeburg - VfB Pößenick 2:3. Ganz rechts zu sehen: Der geöffnete Brief, der im Juni 2002 verdammt schlechte Botschaften brachte. Eröffnung des Insolvenzverfahrens. „Sehr geehrter Herr Trümper…“ Dazu links die Abschlusstabelle der Regionalliga-Saison 2007/08. Magdeburg knapp unter dem fetten Strich, die Qualifikation für die 3. Liga wurde damals verpasst. Und wer die Anhängerschaft des FC Rot-Weiß Erfurt nicht auf der Rechnung und nur den F.C. Hansa und die SG Dynamo auf dem Schirm hatte, durfte am Abend des 24. Juli wirklich überrascht sein. Unterstützt von einigen Mitgliedern der Saalefront zogen die Erfurter eine Blockfahne hoch und brannten anschließend etliche Bengalen ab. Dazu waberte dichter roter Rauch durch das Stadion, so dass die Heimchoreo nicht ganz zu Geltung kam. „Doch wir sind auferstanden aus Ruinen!“ war in fetten weißen Lettern zu lesen, irgendwie passte dann doch dazu der Dunst auf den Rängen.
Das Geschehen auf dem Rasen trug dazu bei, dass es ein unvergesslicher Abend wurde. Erfurt ging in Führung, Beck und Fuchs (89. Minute) drehten das Spiel. Die Magdeburger in totaler Ekstase, bei den Erfurtern brannten fast die Sicherungen durch. Manch einer hatte sich im Gästeblock bereits die rot-weiße Larve übergezogen und war auf Stress aus. Balkan-Atmosphäre an der Nahtstelle zwischen Gästebereich und Gegengerade. Munteres Provozieren und Pöbeln, die Magdeburger Ordner zeigten jedoch wieder einmal, dass sie ohne großes Gehabe die Sache gut im Griff haben. Kurzum: Der emotionale Abend ließ auf turus.net die passende Überschrift „Grandioser Auftakt der besten dritten Liga der Welt“ online gehen.
Mit ordentlich Schwung gingen auch die meisten anderen Nordost-Vertreter ins Rennen. 15.600 Zuschauer sorgten beim Duell Hansa Rostock vs. Werder Bremen II für eine ordentliche Kulisse, auf der Südtribüne gab es ein hübsches Fahnenmeer zu sehen. Das Spiel ging allerdings mit 1:2 verloren und ein kleiner Junge im Pufferblock reckte mal eben den Stinkefinger in Richtung Gästefans. Die SG Dynamo bügelte vor über 25.500 Fans die Bubis des VfB Stuttgart weg, und auch der FC Energie Cottbus kam mit einem 2:0 gegen den HFC gut aus den Startlöchern. Tätlichkeiten auf dem Platz zum Spielende, die Platzverweise nach sich zogen, sorgten für eine erhöhte Betriebstemperatur auf den Rängen.
Kein Spieltag ohne ein Ost-Duell. Um auf jedes Spiel mit all seinen Details einzugehen, müsste dieses Heft um 50 Seiten erweitert werden. Von daher beschränken wir uns auf die bisherigen Highlights, die von August bis Mitte November über die Bühne gingen. Über 28.000 Zuschauer sahen am 3. Spieltag die Begegnung Dynamo Dresden vs. Rot-Weiß Erfurt. Ein Duell mit viel Tradition, bereits im Jahr 1950 traten die Vorgängervereine im Stadion im Ostragehege als SV Deutsche Volkspolizei Dresden und Betriebssportgemeinschaft Turbine Erfurt gegeneinander an. Das erste Duell konnte Dresden am 24. September 1950 mit 1:0 für sich entscheiden. Günter Schröter erzielte damals den Treffer des Tages. Und auch 65 Jahre später behielten die Sachsen die Oberhand. Dank der Last-Minute-Treffer von Aosman und Eilers verwandelte sich das Stadion Dresden in ein Tollhaus. Nach Abpfiff gab es als i-Punkt im K-Block eine große Pyro-Show. Oberhalb der brennenden Bengalen wurde die weinrote Blockfahne mit der geschwungenen Aufschrift „Sportgemeinschaft Dynamo Dresden“ präsentiert.
Ähnlich hoch her ging es drei Tage später beim Sachsen-Anhalt-Duell 1. FC Magdeburg vs. Hallescher FC. Als kurz vor dem Einlaufen der Mannschaften das „Magdeburger Kind“ eingespielt wurde, sang auf Heimseite quasi jeder mit. „Ist denn die Elbe immer noch dieselbe, fragt sich der Dom und wundert sich …“ Gab es im Block U beim letzten Aufeinandertreffen im Landespokal eine gigantische Pyro-Show mit über 100 Bengalen, beließ man es dieses Mal beim akustischen Support. Dafür legte der Gästeblock mächtig los. Hoch mit dem großen Banner „Hallescher Fußballclub“. Dazu war hunderte Mal auf Hochhaltern Weiß auf Rot „Chemie“ zu lesen. An zirka 30 Stellen leuchtete es zudem Rot auf, die Funken sprühten, Rauch stieg auf. Der Nebel war noch nicht verzogen, da stand es 1:0 für den HFC. Welch ein Ausbruch der Emotionen! Kein Abtasten, es ging in die Vollen. Ein Spiel mit offenem Visier. „Blau, blau, blau ist die Magdeburger Sau!“, ertönte es im Gästebereich. Der FCM gab die Antwort auf dem Platz. Christian Beck drehte die Partie und Magdeburg stand Kopf. Frenetischer Jubel. Alle außer Rand und Band - vom Opa bis zum Bub. „Tod und Hass dem FCM!“, ertönte es aus dem Gästebereich.
Allerdings wirkte der HFC-Anhang erstaunlicherweise nicht ganz so giftig wie der des FC Rot-Weiß Erfurt am ersten Spieltag. Nach Abpfiff forderten die Hallenser Aussprache mit den Spielern, hinter den Tribünen tat sich indes was. Bewegung kam auf, ein Typ mit roter Haube rannte umher. Magdeburger versuchten ein Tor zu öffnen. Plötzlich standen sich verfeindete Anhänger an einem Bauzaun gegenüber. Ordner und Polizei waren gefordert, allerdings weiß man in Magdeburg, wie man ohne viel TamTam der Lage schnell wieder Herr wird. Neutrale, aus der Ferne angereiste Fußballfreunde kamen an jenem Nachmittag aus dem Staunen gar nicht mehr raus. „Absolut geil!“, „Euer Fußball im Osten ist eine Wucht!“
Jawohl, das ist er! Der 5. Spieltag wurde unter der Woche ausgetragen. Dies hielt jedoch nicht 954 Anhänger des Chemnitzer FC davon ab, gen Magdeburg zu reisen. Insgesamt waren waren es 19.112 Zuschauer, die dieser Drittligapartie einen würdigen Rahmen boten. Erstaunlicherweise nahmen beide Seiten kaum Notiz voneinander. Provokationen blieben weitgehend aus, sowohl Magdeburg als auch Chemnitz beschränkte sich auf die Unterstützung der eigenen Mannschaft. Zu Beginn des zweiten Spielabschnittes setzte der aktive Kern der Chemnitzer ein paar Blinker ein. „Oh, FCK, wir sind für dich da!“, ertönte es von den Himmelblauen. Auf dem Rasen legte der CFC noch ein Schippchen drauf und zeigte eine prima Partie, doch am Ende durfte wieder der 1. FC Magdeburg feiern - 2:0 der Endstand. Chapeau vor der Leistung des Aufsteigers, auch solche Spiele müssen erst einmal gewonnen werden. Ein Tag später unterstrich indes die SG Dynamo Dresden ihre Aufstiegsambitionen, kurz vor Ende konnten Hefele und Modica mit Köpfchen die Partie drehen (3:2) und die drei Punkte in trockene Tücher bringen. Die Kulisse war mit 27.135 Zuschauern wieder eine Hausnummer für sich.
Und es ging weiter! Vor dem Spiel Dynamo Dresden vs. Chemnitzer FC gab es die üblichen Debatten, weil im Gästebereich zwei, drei Tage vorher noch 550 Tickets für die anliegenden Blöcke verfügbar waren. Das zusätzliche Kontingent, das eigentlich dem Chemnitzer FC zur Verfügung gestellt werden sollte, ging bei der SG Dynamo in den freien Verkauf und war schließlich bis Freitagabend vergriffen. „Lächerlich, die Chemnitzer Fans“, meinten nicht wenige. Allerdings waren es am Spieltag rund 2.000 himmelblaue Anhänger, die zum Auswärtsspiel nach Dresden reisten. 2.000! So oder so eine gute Hausnummer. In anderen Ländern wird man von solchen Zahlen selbst in der obersten Spielklasse nur träumen. Das Sachsen-Duell war ausverkauft. Und ja, der Chemnitzer FC ist nun mal nicht die SG Dynamo Dresden oder der F.C. Hansa Rostock, die auswärts - wenn es drauf ankommt - auch mal 8.000 Mann mobilisieren können. In solchen Größenordnungen spielte der Chemnitzer FC noch nie und wird er auch nicht in absehbarer Zeit.
Rund die Hälfte der 2.000 Chemnitzer war mit dem Sonderzug angereist, mit bereitgestellten Shuttle-Bussen ging es auf dem üblichen Weg zum Stadion. Mit dabei hatten zahlreiche Fans ein Motto-Shirt. Nein, diese waren nicht himmelblau, sondern eher dunkelblau. Aufgedruckt war auf der Vorderseite das in Weiß gehaltene Logo des FC Karl-Marx-Stadt, das von 1966 bis 1990 Bestand hatte. Mit im Gepäck waren wieder die bekannten Fahnen „Old School“ und „Problemkinder“ sowie eine Portion Pyrotechnik, die zu Beginn im oberen Bereich des Stehblocks angezündet wurde. Auf Heimseite gab im K-Block eine Choreo zu sehen, welche die Freundschaft zwischen den Fans der SG Dynamo und des FSV Zwickau unterstreichen soll. Da sowohl Dresden in der 3. Liga als auch Zwickau in der Regionalliga Nordost zu jenem Zeitpunkt den ersten Platz belegten, wurde neben der gelben Nummer eins auch die bereits von den RL-Partien bekannte rote Nummer eins präsentiert.
Das Spiel konnte die SG Dynamo nach viel Kampf mit 1:0 gewinnen, am Gästeblock gab es auf beiden Seiten noch die eine oder andere verbale Entgleisung, zu Zwischenfällen kam es indes nicht. Die Chemnitzer Fans mussten nach dem Spiel noch im Block verharren, es wurden nur so viele Personen herausgelassen, wie in einen Shuttle-Bus passen. Aufgrund dieses schleppenden Vorgangs konnte der himmelblaue Anhang erst mit leichter Verspätung mit dem bereitgestellten Sonderzug gen Heimat düsen.
Ebenso bemerkenswert am 7. Spieltag: Magdeburg fegte den VfL Osnabrück mit 3:0 vom Platz (das Spiel wurde auf einen Dienstag verlegt) und der Anhang des F.C. Hansa Rostock brachte beim Freitagabendspiel „Farbe in den Schacht“. Im weiß-blauen Fahnenmeer erhob sich reichlich Rauch, ein paar Blinker rundeten das Ganze ab. Leider blieben an jenem Abend die Tore aus, so dass bei den insgesamt 10.850 Zuschauer keine Jubelorgien zu bestaunen waren.
Sehr enttäuschend sah indes der Gästeblock eine Woche später beim Duell Hansa Rostock vs. Energie Cottbus aus. Auch wenn es sich um ein Freitagabendspiel handelte - mehr als 250 Fans sollten sich schon auf den Weg machen! Allerdings hatte die schlechte sportliche Situation ihren gehörigen Anteil. 0:4 gegen Aalen, das konnte in Rostock nur besser werden. Erstaunlich voll waren die Ränge des Ostseestadions. 18.000 Zuschauer hatten sich eingefunden und sangen zu Beginn lautstark das „Hansa forever“. Es lief allerdings nicht rund. Cottbus zeigte sich erstaunlich stark und nahm völlig verdient einen Punkt mit.
Bevor es am Mittwoch, den 23. September, zum großen Ostgipfel F.C. Hansa Rostock vs. 1. FC Magdeburg kam, richteten sich paar Tage zuvor die Blicke nach Aue. Holla die Waldfeh! Was tat sich denn da im Cottbuser Block? Unterstützt von Freunden aus Stuttgart, Chemnitz und Polen zelebrierte der Anhang eine beeindruckende Pyro-Aktion, bei der es nur so brannte und qualmte. Dass es bei den kommenden Spielen des FC Energie wieder ruhiger verlaufen wird, war nach all den Diskussionen selbstverständlich klar. Einmal die Sau rausgelassen und das Pulver verschossen - dafür hatte sich der Old-School-Block im Lößnitztal am Freitagabend einfach gut angeboten.
Nun aber! Die Magdeburger zu Gast in Rostock. Nach 25 Jahren stieg endlich wieder dieses Duell. Man war landesweit gespannt, was die Jungs vom Block U auf die Beine stellen würden. Und ja, sie ließen sich nicht lumpen. Nachdem der in Köthen eingesetzte Sonderzug in Mecklenburg angegriffen wurde, verlief der restliche Weg zum Ostseestadion eher problemlos. Adrenalin auf Anschlag, motiviert bis in die Haarspitzen. Besonders der Magdeburger Anhängerschaft war die Anspannung kurz vor dem Anpfiff im Rostocker Ostseestadion anzumerken. Wochenlang wurde über dieses Duell gesprochen. Im Fokus hierbei: Das Geschehen auf den Rängen. Wer wird sich besser präsentieren können? Wer ist in der Region Nordost neben der SG Dynamo Dresden fantechnisch ganz oben anzusiedeln? Eher die Rostocker Fanszene, die aufgrund all der Jahre im Profifußball äußerst eingespielt ist? Oder doch die Magdeburger Fanszene, die nach dem lang ersehnten Aufstieg in die 3. Liga derzeit auf einer Euphoriewelle schwimmt?
Um 20:08 Uhr gab es ein erstes Einklatschen. „Hier regiert der FCM!“ An der Plexiglasscheibe wurden die Banner „Für immer 1. FC Magdeburg“ und „Block U“ befestigt. Auf der Süd liefen die Vorbereitungen für die geplante Choreo. Der Anlass: Das 10-jährige Bestehen der Gruppierung „Fanatics“. Als gegen 20:15 Uhr auf der Süd die blauen und weißen Leibchen übergezogen wurden, kamen beide Seiten langsam auf Betriebstemperatur. Einwippen auf der Süd. Eine lautes „Einmal Blau-Weiß, immer Blau-Weiß“ im gefüllten Gästeblock.
Die Mannschaften liefen auf und im Gästeblock wurden die extra angefertigten dunkelblauen Schals hochgehalten. Gut verteilt wurden zudem blaue Flammen gezündet. Das sah gelungen aus! Auf der Südtribüne setzten etwas zeitverzögert die Hansa-Fans ihre Choreo um. „10 Jahre - Legal - Illegal - Scheißegal“. Dazu stieg schon bald massig weißer und blauer Rauch auf, dazwischen blinkerte es an einigen Stellen. Da zur Süd hin im Gästeblock nach der eigentlichen Choreo nun auch noch einige rote Bengalen angerissen wurden, stand schon bald das gesamte Stadion im weißen Dunst. Es schien, als hätte eine von der nahen Ostsee gekommene Nebelbank das Stadion heimgesucht. Die Partie musste kurz unterbrochen werden. Einige Magdeburger knüpften reichlich gezogenes Material an die Plexiglaswand und das gespannte Netz.
Darunter befand sich eine recht große Hansa-Fahne. Es ließ nicht lange auf sich warten, bis der Stoff mit einem Bengalo angezündet wurde. Schon bald stand alles in Flammen und auf der Süd platzte manch einem Rostocker der Kragen. Nachdem vor dem Spiel eine Gruppe Magdeburger gemeinsam mit einigen BFCern vor der Nordtribüne mit Pyro posiert hatte, war nun aus Sicht der aktiven Hansa-Fans das Maß voll. Die Banner wurden gehoben und in der Pufferzone kam Bewegung auf. Drei, vier Rostocker gelangten sogar bis an die untere Ecke des Gästeblocks. Leuchtkugeln flogen, Böller detonierten, polizeiliche Einsatzkräfte rückten an - die Mannschaften wurden in die Kabinen geschickt. Die Lage drohte zu Eskalieren, der erste befürchtete Spielabbruch der vom Osten geprägten 3. Liga schien nun einzutreffen. Allerdings beruhigte sich das Ganze wieder und das Spiel konnte ausgetragen werden. 1:1 der gerechte Endstand, beim Rostocker Ausgleich kurz nach der Pause wurde auf der Süd etliche Bengalen gezündet, begleitet von den Pfiffen zahlreicher Zuschauer.
Ungemütlich wurde es nach dem Spiel. Auf der Kopernikusstraße sammelte sich ein komplett schwarz vermummter Mob, der zuerst in Richtung Parkstraße lief, dann jedoch kurzzeitig ins Wohngebiet abbog. Etwas später tauchte diese gespenstisch anmutende Truppe am Kreisverkehr an der Schillingallee vor der dortigen Polizeiabsperrung auf. Nachdem unter den Scheinwerfern der bereitstehenden Polizeifahrzeuge einige Gegenstände und Leuchtkugeln flogen, marschierte die Truppe strammen Schrittes in Richtung Fußgängerbrücke, die am S-Bahnhof Parkstraße über die Gleise führt. „Zusammen bleiben!“, rief jemand den anderen Vermummten zu. Auf der anderen Seite der Bahnlinie eilte die Gruppe am dortigen Polizeirevier vorbei, es kam zu vereinzelten Attacken. Was blieb? Eine gewisse Ratlosigkeit. Zumindest in Rostock. Während der 1. FC Magdeburg recht rasch zur Tagesordnung überging und sich auf das kommende Heimspiel gegen den FC Energie Cottbus vorbereite, gab es beim F.C. Hansa noch einige Diskussionen. Es dauerte nicht lange, bis der Verein am Folgetag bekannt darf, dass beim Duell gegen Dynamo Dresden die Südtribüne geschlossen bleibt.
Weitaus gemächlicher ging es beim Spiel Magdeburg vs. Energie Cottbus zu. 705 FCE-Fans waren angereist, wie bereits beim Spiel FCM vs. CFC wurde keine Notiz voneinander genommen. Dank eines umstrittenen Elfmeters retteten die Magdeburger in letzter Minute ein 2:2. Eine Woche später stiegen sogleich drei Ostduelle. Der Chemnitzer FC und der FC Rot-Weiß Erfurt trennten sich 1:1, ein 1:0 gab es bei der Begegnung Hallescher FC vs. Erzgebirge Aue. Im Fokus befand sich jedoch der Ost-Gipfel Hansa Rostock vs. Dynamo Dresden, der am 25. Jahrestag der Deutschen Einheit ausgetragen wurde.
In Rostock brannte der Baum, die Kogge befand sich wieder einmal in Schräglage. Sportlich lief es nicht rund, zudem herrschte Chaos in der Führungsetage. Der Vorstandsvorsitzende Michael Dahlmann trat zurück, Erklärungen von allen Seiten machten die Runde. Schmutzige Wäsche wurde gewaschen, von geklauten E-Mails war die Rede. Dazu die gesperrte Südtribüne - und das ausgerechnet gegen die SG Dynamo. Eine dynamische Aktion in Warnemünde gab es dieses Mal nicht, dafür wurde eine Mottofahrt ausgerufen. Alle mit Bomberjacken nach Rostock! Allerdings wurde diese Aktion nur durchschnittlich angenommen. Kein Vergleich zu legendären Auswärtssause nach Regensburg.
Bemerkenswert war die Anreise der Dynamo-Fans. Im Gegensatz zu früheren Anfahrten war kaum Polizei mit dabei, erst ab Berlin stieg die Blumberger Bundespolizei-Einheit zu, und auch diese war nicht in üblicher Mannstärke vertreten. Hinter Güstrow konnten Rostocker gesichtet werden, welche die Dresdener dazu aufforderten, die Notbremse zu ziehen. Es wäre wohl eine große Schlacht geworden, allerdings war dem Polizeibericht zu entnehmen, dass der Lokführer die Notbremsenfunktion außer Kraft gesetzt hatte. Somit rauschte der Zug einfach am wartenden schlagkräftigen Hansa-Mob vorbei.
Im Stadion ergab sich folgendes Bild: Keine Banner und Zaunfahnen auf Rostocker Seite. Zahlreiche Szene-Mitglieder hatten sich in Sichtweite zum Gästeblock auf der Gegengerade am Pufferbereich postiert. Zu lesen war an einigen Stellen auf Spruchbändern „Pro Dahlmann“ und „Ahrens raus!“. Dass der übliche Hansa-Support nicht möglich war, muss nicht weiter erläutert werden. Im Gästeblock gab es indes die dynamo-typische Unterstützung.
Ein Typ im Horroroutfit samt Maske sorgte für Erheiterung, im Laufe des Spiels setzte er sich auf den Zaun, fackelte einen Hansa-Schal ab und warf Glühwein-Beutel in den Innenraum. Diese wurden von einigen Chaoten aus einem aufgebrochenen Verkaufsstand entwendet. Schon bald roch es derb nach Wein und Buttersäure. Wo diese genau zum Einsatz kam, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Dresden versuchte Hansa zu provozieren und brachte sogar einen Feuerlöscher zum Einsatz, doch die Heimfans hielten an diesem Nachmittag die Füße still. Auf dem Rasen konnte Dresden mit Sparflamme spielen und trotzdem die Partie mit 3:1 nach Hause schaukeln.
Umso überraschender war am 17. Oktober der 1:0-Erfolg des FC Energie Cottbus in Dresden. Bei den Lausitzern platzte mit dem neuen Trainer Vasile Miriuta der Knoten, bei der SG Dynamo riss die Serie. Bemerkenswert: Bei einer vor dem Gästeblock ausgeführten Ecke wurde Dynamo-Spieler Stefaniak von einem Feuerzeug am Kopf getroffen, doch anstatt sich theatralisch hinfallen zu lassen, spielte er erfreulicherweise nach kurzem Zögern und einer Beratung weiter. Die Partie konnte zu Ende gespielt werden und der Cottbuser Anhang feierte mit den Spielern frenetisch den Überraschungserfolg. Als Dank gab es beim nächsten Heimspiel gegen den SC Preußen Münster eine kleine Choreo: „Auf geht´s!“ Dazu eine emporgestreckte Faust.
In Magdeburg machte man sich indes beim Heimspiel gegen den SV Wehen Wiesbaden warm für die kommende Aufgabe. „Reih dich ein in die blau-weiße Einheitsfront“. Eine Woche vor dem mit Hochspannung erwarteten Auftritt bei der SG Dynamo Dresden zeigten die Fans des 1. FC Magdeburg noch einmal Geschlossenheit. Tausende blaue und weiße Fahnen im Block, darunter der besagte Aufruf. Auf der Blockfahne war eine Figur zu sehen, die an den politischen Kampf der 1920er Jahre erinnert. Die Fahne kraftvoll in der Hand, den Blick zurückgewandt. „Komm, reih dich ein!“ Und der Block U wäre nicht der Block U, wenn nicht das Ganze mit einer Portion Rauch abgerundet werden würde. Weißer und blauer Rauch stieg empor. Als Nebelwand zog die Wolke die Gegengerade entlang. Da sich der mächtige Rauch unter den Dächern verfing und auch der Platz sich eintrübte, wurde das Spiel gegen den SV Wehen Wiesbaden nach nicht mal einer Minute unterbrochen. Die Partie wurde mit 1:0 gewonnen, Magdeburg war bereit für Dresden.
Der achtmalige DDR-Meister gegen den dreimaligen DDR-Meister. Ganz besonders in den 1970er Jahren prägte das Duell SG Dynamo Dresden vs. 1. FC Magdeburg den Fußball im Osten unseres Landes. Nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung begegneten sich die Rivalen im Zeitraum 1997 bis 2008 nur noch in der Regionalliga Nordost bzw. Nord, in der Saison 2001/02 sogar nur in der NOFV-Oberliga Süd. Nicht wenige sprachen von DEM Spiel der Saison. Die Fans beider Seiten waren extrem heiß auf diese Partie, innerhalb kürzester Zeit gingen die Tickets weg wie einst die warmen Semmeln beim HO-Bäcker um die Ecke. Der 1. FC Magdeburg erhielt ein gekürztes Kontingent von 1.800 Karten. Allzu eng sollten die FCM-Fans somit nicht im in der Ecke befindlichen Gästeblock stehen. Karten für die anliegenden Sitzplätze wurden erst gar nicht angeboten. Es pochte in den Adern, es wummerte in der Brust, es rumorte im Bauch. Die übliche Aufregung vor diesem Duell wuchs stündlich an. Über allen anderen Fragen im Raum stand jene: Was hatte die Fanszene der SG Dynamo Dresden geplant? Projekt X! 851 Tage lang geplant und vorbereitet. Was könnte das wohl sein?
Hektisches Treiben am Spieltag gegen 13:15. Helfer in gelben Shirts eilten umher und schauten, ob alles gut ausgelegt war. Wie ein orangefarbener Lindwurm zog sich die bereitgelegte Choreo am unteren Rand der Ränge entlang. Man ahnte nun bereits, dass es auf eine gigantische Blockfahne hinauslaufen würde. Auch wenn eine Blockfahne nicht wirklich eine neue Idee ist, so haute die in Dresden gezeigte Version einen dann doch vom Hocker. Einmal ringsherum in einem Stück. Reibungslos wurde der Stoff gleichzeitig auf allen Seiten hochgezogen. Echte Maßarbeit. An sämtliche Neigungen und Winkel wurde gedacht. Die Blockfahne saß am Ende wie der Maßanzug eines russischen Ölbarons. 851 Tage wurde gemessen, geplant, genäht, bemalt und zusammengenäht. Zu lesen war: „Die Legende aus Elbflorenz, der Verein mit den besten Fans“.
Wirklich irre ist, dass nichts, wirklich nichts, im Vorfeld nach außen drang. Selbstverständlich richtete ich im Vorfeld meine Lauscherchen gen Sachsen und befragte den einen oder anderen SGD-Anhänger. Nur Achselzucken. Auch sie hätten keine Ahnung - und das klang nicht nach einer Lüge, um die Jungs von turus.net in Unwissenheit zu lassen.
Wegen der Verschwiegenheit wurde bei den an der beim Projekt X beteiligten Personen strenge Regeln aufgestellt. Es wurden kaum Fotos angefertigt und nach außen hin erzählt wurde sowieso nichts. Der Name „Projekt X“ sollte wirklich völlig offen lassen, worauf es hinaus laufen würde. Es wurde ausgemessen, genäht und mehrmals in einzelnen Abschnitten im Stadion geprobt. Nachdem alles zusammengenäht war, vollzogen 250 Personen nochmals eine Generalprobe. Bei all den Vorbereitungen verlief die Kommunikation mit dem Verein nahezu perfekt. Ganz bewusst wird generell auf das „Pissgelb“ verzichtet, bei Fahnen und Aktionen wird immer das Dynamo-Gelb verwendet. Da dieser Farbton jedoch als Stoff nicht verfügbar war, wurde auf Orange zurückgegriffen. Die Stoffrollen wurden stückweise gekauft, von daher kam es zu den leichten Farbabweichungen. Aber wer bemerkte diese? All die Arbeitsstunden und die 25.000 Euro hatten sich gelohnt. Die Fans der SG Dynamo zeigten sich vom Resultat äußerst zufrieden und das positive Feedback kam aus sämtlichen Ecken Europas.
Und die Magdeburger? Nur Statisten an jenem Nachmittag? Die geplante Choreo musste im Gästeblock abgeblasen werden. Kurz vor Spielschluss sah man einige blaue Fetzen Folie durch die Luft fliegen. Dies waren wohl die kläglichen Reste, die in den Block geschafft werden konnten. Der aktiven Szene war es dieses Mal nicht gelungen, das Material an den Ordnern vorbei ins Stadion durchzuboxen. Ordner und Polizei waren gut aufgestellt und die Kontrollen waren äußerst akribisch. Etwaige Ablenkungsmanöver gelangen nicht, somit musste der blau-weiße Anhang allein mit verbalen Mitteln die Mannschaft unterstützen. Dies gelang auch recht gut, der Jubel beim zwischenzeitlichen Ausgleich zum 1:1 sah barbarisch aus. Zumal im unteren Bereich etliche Magdeburger das gesamte Spiel über eine schwarze Haube aufhatten.
Dass Magdeburg noch Lehrgeld zahlen muss, wurde kurz vor Schluss deutlich, als im K-Block Materialen präsentiert und abgefackelt wurden. So kam die Quedlinburger Fanclub-Fahne beim DFB-Pokalspiel gegen Bayer 04 Leverkusen abhanden. Genau in jenem Moment, als sich sämtliche Zuschauer auf das Elfmeterschießen konzentrierten, nutzte wohl jemand die Gelegenheit, diese abzunehmen. Seitdem gibt es bei Heimspielen im Innenraum Personen, die einen steten Blick auf das Material werfen. Nachdem beim Spiel in Dresden am K-Block die blau-weißen Materialien verbrannt wurden, kam am und im Gästeblock noch einmal Hektik auf. Die Betriebstemperatur stieg und beide Seiten hatten sich in verbaler Form noch einiges auszutauschen.
Zwei im Gästeblock abgefeuerte Leuchtkugel flogen quer über den Platz. Eine Dritte traf das Stadiondach und wurde von dort aus auf die Tribüne hinter dem Tor abgelenkt. Die Lage schien kurzzeitig aus dem Ruder zu laufen. Die ersten Dresdner rissen an der Plane, einer hämmerte voller Wut mit seiner Krücke auf diese. Auf der anderen Seiten verfingen sich die Ersten in den ausgelegten Netzen. Ringsherum leerten sich bereits die Ränge, am Gästeblock schienen die Wortgefechte und Drohgebärden indes einfach nicht enden zu wollen. Nach über sieben Jahren hatte man sich eine Menge zu sagen. Nach und nach beruhigte sich das Ganze jedoch und auch der Gästeblock leerte sich nun nach und nach.
Adrenalin bis auf Anschlag gab es auch am 07. November beim Hass-Duell Chemnitzer FC vs. FC Erzgebirge Aue. Bereits vor Saisonstart munkelten viele, dass dies das brisanteste Spiel werden könnte. Der Hass ist gar nicht in Worte zu fassen. Bereits Wochen vor dem Spiel hatten beide Seiten mobil gemacht. Aufkleber, Graffiti, Botschaften. Hass, nur Hass. Für die Himmelblauen wurde es kein guter Tag. Rund 60 in schwarz gekleidete Anhänger aus Aue erwischten die Chemnitzer auf dem falschen Fuß, indem sie bereits gegen 9 Uhr eine als Treffpunkt dienende Lokalität in der Zietenstraße angriffen. Bei der Anreise des Hauptmobs kam es immer wieder zu Rangeleien zwischen Heim- und Gästefans, dabei wurde ein Fan aus Aue in der Nähe einer Tankstelle verletzt. Hektisch wurde es auch am Einlass des Gästeblocks. Hierbei kam es von Seiten der Polizei zum Einsatz von Pfefferspray, nachdem versucht wurde, sich ins Stadion zu drücken. Etliche Fußballfans mussten daraufhin von Sanitätern versorgt werden.
Auf Heimseite wurde vor dem Anpfiff eine große Choreo präsentiert. Im linken Tribünenabschnitt war ein Labyrinth zu sehen, an dessen Ende sich zwei Wegweiser „2. Liga und 3. Liga“ befanden. Dazu gab es ein Fischerwiese-Amphie-Theater mit dem kleinen, aber feinen Hinweis „Fischerwiese 1934“ (von 1933 bis 1934 erbaut), abgebildet auf einer Landschaft mit Wüste, Bäumen, Bergen und Klippen. Auf dem Mittelteil der Chemnitzer Choreo flog die griechische Sagenfigur Ikarus im Schachttrikot über den Ozean. Hierbei wurde das Wasser mit dunkelblauen und der Himmel mit hellblauen Fahnen dargestellt. Der Ikarus mit dem lilafarbenen Trikot stieg wie in der griechischen Sage höher und höher und verbrannte sich an der FCK-Sonne die Flügel.
Genauer gesagt schmolz der Wachs, der die künstlich befestigten Federn am Körper hielt, und die Flügel lösten sich (bei der Choreo wurden diese ebenfalls abgerissen). Im rechten Choreo-Teil stieg, nachdem dort anfangs nur schwarze Zettel hochgehalten wurden, der Chemnitzer Fußballgott Anton Fink aus der Hölle empor - im entsprechenden Gewand und mit einer Grubenlampe in der Hand. Das Ganze wurde von einem großen Spruchband am Zaun untermalt: „Flieg´ nicht so hoch, mein kleiner Freund.“ Aus „Freund“ wurde im weiteren Ablauf „Feind“. Passend dazu gab es das Lied von der Schlagersängerin Nicole (1981 veröffentlicht). Neutral betrachtet kann man nur sagen: Eine geniale Idee einer Choreo.
Das Spiel wurde spannend. Chemnitz ging in Führung, Aue dreht kurz vor dem Pausentee die Partie. Der Gästeblock vor Freude außer Rand und Band. Und die Mannschaft aus dem Erzgebirge brachte die knappe Führung über die Zeit. Während im Gästeblock die Fans ganzen körperlichen Einsatz zeigten, zwei Frauen standen nur im BH singend am Wellenbrecher, staute sich auf Heimseite immer mehr die Wut auf. Nachdem ein Böller detoniert war, gab es auf Chemnitzer Seite kein Halten mehr. Einige Chemnitzer wollten ran an den Feind. Bierbecher flogen, die Ordner hatten einiges zu tun. Und auch nach dem Abpfiff blieb es hitzig. In der Hainstraße und Palmstraße kam es zum direkten Schlagabtausch. Rund 200 Personen waren an den Tumulten beteiligt. Wut und Hass bekamen auch die polizeilichen Einsatzkräfte zu spüren. Einige Beamte wurden leicht verletzt, Polizeifahrzeuge wurden beschädigt. Im Gegenzug wurde etliche Strafanzeigen aufgenommen. Was bleibt? Ein Hochgefühl im Lößnitztal und unsagbare Enttäuschung auf der Fischerwiese. Der lilafarbene Ikarus mag an diesem Tag gefährlich hochgeflogen sein, aber er hatte sich nicht die Flügel verbrannt. Auf das Rückspiel in Aue darf man nun mächtig gespannt sein.
Dies waren die Highlights der zurückliegenden Monate. Hatte man sich das alles so vorgestellt, bevor es Ende Juli dieses Jahres ins Rennen ging? Ich denke, die Erwartungen wurden erfüllt. Zu übertriebenen Gewaltexzessen, die zu Spielabbrüchen führten, kam es glücklicherweise nicht. So wie vorhergesagt, fand in den einzelnen Fanszenen eine gewisse Selbstkontrolle statt. In manchen Situationen wurden klugerweise die Füße stillgehalten. Im Fall 1. FC Magdeburg darf zurecht behauptet werden, dass die dortige Euphorie und die Atmosphäre im Stadion die Erwartungen übertreffen. Bei der SG Dynamo Dresden dürfte die sportliche Souveränität überraschen, mit der Mitmachquote im K-Block zeigte man sich indes nicht immer zu 100 Prozent zufrieden. Aber klar, das ist Jammern auf allerhöchstem Niveau! Erschreckend ist die Situation beim F.C. Hansa Rostock. Hatte die Anhängerschaft gedacht, dass die letzte Zittersaison im negativen Sinne nicht zu toppen sei, so wird jetzt klar: Die Kogge schippert haarscharf am Abgrund entlang. Ein Abstieg in die Regionalliga wäre ein Desaster für den Verein und ein echter Verlust für die 3. Liga.
Ob es generell nach den bisherigen Highlights noch besser werden kann? Sagen wir es so: Einen Joker haben zahlreiche Fanszene noch im Ärmel. Die Geburtstage nähern sich! Womit wir den Bogen zur DDR-Oberliga geschlagen haben. Aufgrund der damaligen Umstrukturierungen zum Jahreswechsel 1965/66 haben die meisten Nordost-Vertreter der 3. Liga bald ihren 50. Geburtstag. Der 1. FC Magdeburg (22. Dezember 1965), der F.C. Hansa Rostock (28. Dezember 1965), der Chemnitzer FC (als FC Karl-Marx-Stadt, 15. Januar 1966) der Hallesche FC (26. Januar 1966), der FC Rot-Weiß Erfurt (26. Januar 1966) und der FC Energie Cottbus (31. Januar 1966).
Ausnahmen: Der FC Erzgebirge Aue (als BSG Wismut Aue am 24. September 1949 gegründet) und die Sportgemeinschaft Dynamo Dresden, die es in der jetzigen Form bereits seit dem 12. April 1953 gibt. Aber die hatte ja bereits als optisches Highlight ihr Projekt X …
Nachtrag: Nach dem Tippen dieses Berichtes sind wieder bereits paar Wochen ins Land gegangen. Einige 50. Geburtstage wurden gefeiert. Die Aktionen konnten sich durchaus sehen lassen. Die Magdeburger konnten auf dem Rasen wie bereits zu Beginn der Hinrunde den Halleschen FC und den FC Rot-Weiß Erfurt überrumpeln und somit in fast allen Ost-Duellen (nur in Dresden gab es eine 2:3-Niederlage) ungeschlagen bleiben. In den kommenden Wochen wird die 3. Liga im Osten nochmals Fahrt aufnehmen. So kommt es am 20. Februar zu den Duellen Hansa Rostock vs. Erzgebirge Aue und Chemnitzer FC vs. Dynamo Dresden. Für die arg abstiegsbedrohten Rostocker gibt es sogleich zwei Ost-Duelle hinterher. Nach der Auswärtsfahrt nach Cottbus folgt bereits am 05. März die Auswärtssause nach Magdeburg. Oha, ja wir sind sehr gespannt! Ebenso auf den Auftritt der SG Dynamo Dresden in Magdeburg, der am 16. April erfolgt. Und wenn es viel für Augen und Ohren zu sehen bzw. hören gab, dann gibt es vielleicht im Sommer einen weiteren Rückblick zur „DDR-Oberliga 2.0“ …
Fotos: Marco Bertram, Michael, Arne Amberg, Marcus Hengst, nurenergie.de, Los Misenas, Tim Seidenberg
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Benutzer-Kommentare
Nur die SGD...
@Marco: Sehr schöner Bericht. Ich bin gespannt auf Teil 2!