Nach dem abendlichen Sturm der Entrüstung herrscht nun (Stand 12:30 Uhr) eine gespenstische Stille. Während auf der FB-Seite des F.C. Hansa am gestrigen späten Abend noch ein klares Statement online ging, ist in Magdeburg von offizieller Seite aus noch nichts zu lesen. Die Spatzen zwitscherten es am Nachmittag bereits von den Dächern. Es könnte ernsthafte Probleme geben, was das Gästekartenkontingent für das am 05. März 2016 angesetzte Drittligaspiel 1. FC Magdeburg vs. F.C. Hansa Rostock betrifft. Okay, das war zu erwarten. Dass Rostock nicht so viele Tickets bekommt wie zu Beginn der Saison der Hallesche FC - damit rechnete man bereits an der Ostseeküste. Doch dann das! Null Tickets! Die Nachricht verbreitete sich am frühen Abend in Windeseile. Ein Witz, oder? Ist ein möglicher Boykott gemeint? Die Eilmeldung der Rostocker Fanszene brachte dann die Fakten auf den Tisch. Eine Meldung, die einen glatt aus den Latschen hob.
1. FC Magdeburg vs. F.C. Hansa Rostock: Die große Chance zum festen Zusammenhalt!?
HotSo heißt es in der Meldung: „Hallo Hansafans, soeben haben wir erfahren, dass die Landespolizei Sachsen-Anhalt in einer Konsultation mit dem Sicherheitsbeauftragten des 1. FC Magdeburg entschieden hat, dass unser Verein sage und schreibe null (0!!) Karten für den Gästebereich am 05.03.2016 erhalten soll. Somit wird das Spiel ohne Gästefans stattfinden. Die Begründung ist wie gehabt sehr „detailliert“ ausgefallen: „Aufgrund von Sicherheitsbedenken und Gefahrenprognosen.“.“
Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Zuerst wollte man diese Information noch zurückhalten, bis sich der 1. FC Magdeburg offiziell äußern würde, doch da man keine Lust auf ein wiederholtes Pokerspiel habe, ging diese Nachricht dann doch noch sehr zeitnah raus. Zurecht darauf hingewiesen wurde, dass die anderen Ostvereine volle Kontingente erhalten hatten und auch der 1. FC Magdeburg beim Gastspiel in Rostock die volle Anzahl bekam. Organisiert wurde bereits ein Sonderzug für rund 1.000 Hansa-Fans, und trotz der Vorfälle beim Hinspiel standen die Zeichen für das Rückspiel laut des Fanszene Rostock e.V. durchaus gut.
Empörung, Kopfschütteln, Entsetzen, Fassungslosigkeit, Sprachlosigkeit, Enttäuschung und Wut. Die Reaktion am gestrigen Abend war enorm. Die Nachricht verbreitete sich - nicht nur unter den Hansa-Fans - in Windeseile. Während Einzelne der Meinung sind, dass halt das Verhalten der Fußballfans Schuld sei, hat die große Mehrheit null Verständnis für diese Entscheidung. Betont werden muss, dass von offiziellen Stellen noch keine Meldung herausgegeben wurde, allerdings darf angenommen werden, dass die Informationen, welche der Fanszene Rostock e.V. erhalten hat, von Substanz sind. Zumindest dürfte klar sein, dass die Möglichkeit, dem F.C. Hansa Rostock keine Gästekarten zu verkaufen, ernsthaft im Gespräch ist.
Die Reaktion der Rostocker Fanszene dürfte wenig überraschen. So wurde bekannt gegeben: „Jedem Hansafan sollte es ein Bedürfnis sein, in Magdeburg Flagge zu zeigen und lautstark zu protestieren. Ein Fußballspiel ohne Gästefans ist kein Fußballspiel, dass wird sicherlich auch jeder Fan des 1. FC Magdeburg bzw. eines jeden anderen Verein so sehen. Als Konsequenz auf diese wahnwitzige Entscheidung, werden wir am 05.03.2016 eine Demonstration in Magdeburg anmelden und abhalten.“
Überraschend war indes die Schnelle, mit der Blue Generation / Block U ein klares Statement online setzte. So heißt es wortwörtlich: „Bereits vor einer offiziellen Verlautbarung dieser Meldung gibt Block U – 1. FC Magdeburg bekannt, dass wir für besagte Partie keinen Gästeausschluss und ebenso wenig ein deutlich reduziertes Gästekontingent akzeptieren werden. … Aufgrund der Kurzfristigkeit dieser Nachricht können wir noch nicht mitteilen, wie wir im Fall der Fälle reagieren werden. Es ist aber faktisch ausgeschlossen, dass die Nordtribüne zu jenem Spiel in gewohnter Form und Mannstärke agieren wird. In jedem Falle werden wir alles daran setzen über unser Netzwerk eine adäquate Anzahl an Karten für die Heimbereiche des Heinz-Krügel-Stadion zu organisieren, um diese anschließend dem F.C. Hansa Rostock zur Verfügung zu stellen. Macht dieses Beispiel Schule, können wir uns auch für das Heimspiel gegen Dynamo Dresden und darüber hinaus auf diese Vorgehensweise einstellen. Zudem kann auch die Fanszene des 1. FC Magdeburg zukünftig von Gästeausschlüssen betroffen sein. Alle Clubfans sind zur Solidarität aufgerufen!“
Es bedarf nicht viel Phantasie sich vorstellen zu können, wie es am 05. März 2016 laufen könnte. Egal, ob jegliche beantragten Fandemos verboten werden oder es nicht möglich sein wird, Heimkarten an Rostocker zu übergeben - ein kompletter Ausschluss der Gästefans würde ein totales Eigentor werden. Rostocker Fans werden so oder so anreisen - und die aktive Fanszene des 1. FCM wird der Sache wegen dem F.C. Hansa zur Seite stehen. Mag es Rivalitäten zwischen den Fans geben, an diesem Tag wird die emotionale Barriere ziemlich sicher überwunden werden. Gerade zu jetzigen Zeiten, in denen der Gegenwind immer stärker bläst, wird der Ruf nach dem Schulterschluss der einzelnen Fanszenen immer lauter.
Was ein Ausschluss der Hansa-Fans bringen würde? Nicht wirklich viel. Die Heimspiele des 1. FCM gegen Halle und Erfurt haben gezeigt, dass brisante Partien - mal abgesehen von den üblichen Pöbeleien am Rande - durchaus problemlos über die Bühne gebracht werden können. Und das trotz hoher Anzahl an Gästefans und ohne eigentlichem Gästekäfig mit Plexiglaswänden, Sichtschutzwänden und extra Fangnetzen. Falls man indes einen großen Einsatz von zig hunderten Polizisten vermeiden möchte, so wird das eh kaum funktionieren. Spontane Fandemos oder Flashmobs in Magdeburg werden die Einsatzkräfte mehr auf Trab halten als eine koordinierte Anreise mit dem Sonderzug.
Aufgrund der erschreckenden Nachricht von der Fanszene Rostock und den hoch emotionalen Diskussionen in Foren und sozialen Netzwerken meldete sich am gestrigen Abend noch der F.C. Hansa auf Facebook zu Wort: „Hallo Hansa-Fans, heute Abend macht das Gerücht die Runde, dass uns als Gästefans für unser Auswärtsspiel am 05.03.2016 beim 1. FC Magdeburg keine einzige Karte zur Verfügung gestellt werden soll. Uns liegen keine offiziellen schriftlichen Informationen zur Kartenvergabe vor - weder durch den 1. FC Magdeburg noch durch die Sicherheitsbehörden. Wir werden uns morgen sofort mit dem 1. FC Magdeburg, den entsprechenden Sicherheitsorganen und dem DFB in Verbindung setzen und prüfen, was den Tatsachen entspricht. Sollte es tatsächlich der Fall sein, dass uns keine Karten zur Verfügung gestellt werden, wäre dies ein ungeheuerlicher und inakzeptabler Vorgang und spräche nicht für einen professionellen partnerschaftlichen und fairen Umgang unter den Vereinen. Wir werden im Fall der Fälle alle Möglichkeiten ergreifen, uns gegen diese nicht nachvollziehbare Entscheidung zu wehren. Euer F.C. Hansa Rostock“
Man darf von aus gehen, dass derzeit hinter den Kulissen heiße Diskussionen und intensive Beratungen durchgeführt werden. Ob man die Reaktion der Fans unterschätzt hatte? Vielleicht. Andererseits dürfte doch klar sein, wozu Fußballfans in der Lage sind, wenn die Vereinsfarben und Rivalitäten mal außen vor gelassen werden. So kamen trotz Verbot von Seiten des DFB einst Anhänger der SG Dynamo Dresden ins Frankfurter Stadion. Und auch die Frankfurter Eintracht konnte im März 2012 trotz geschlossenem Gästeblock beim 1. FC Union Berlin mobil machen. Die Heimfans organisierten den SGE-Fans rund 1.000 Tickets, später wurde ein Teil des verwaisten Gästeblocks der Alten Försterei sogar friedlich geentert. Dem DFB wurde die Stirn geboten und aufgrund der riesigen Transparente, Spruchbänder und gemeinsamen Sprechchöre wurde diese Form der Strafe ein klassisches Eigentor.
Und was Hansa Rostock betrifft: Dort ist man besonders empfindlich was die Ticket-Problematik bei Auswärtsspielen betrifft. An die Fandemo in Hamburg-Altona (Auswärtsspiel beim FC St. Pauli) werden sich gewiss noch einige erinnern. Eine Demo stand auch im Frühjahr letzten Jahres in Dresden im Raum. Nachdem das Kartenkontingent dann doch ein stückweit erhöht wurde, zog man die Anmeldung der Demo zurück und unterstützte im Stadion die eigene Mannschaft. Keine Frage, sowohl Hansa Rostock als auch Magdeburg sind zwei Vereine, bei denen die Fanszenen besonders sensibel und flexibel sind, was die Fanrechte betrifft. Die Mobilisierungs-Quote wird enorm sein und vom Schulterschluss dürfte man im Fall der Fälle als Außenstehender überrascht sein. Hoffen wir jedoch, dass in den kommenden Tagen noch eine vernünftige Lösung gefunden wird, so dass am 05. März 2016 im Magdeburger Stadion ein stimmungsvolles Ost-Duell ausgetragen werden kann!
Einen Blick über den Tellerrand wirft unser Autor Michael, der besonders in Polen einen sehr tiefen Einblick hat. Hier sein persönlicher Kommentar:
Magdeburg könnte sich wieder in die Chronik eintragen. Der 15. Februar ist richtungweisend für die Entwicklung der Fankultur in Deutschland. Es kann in die negative oder positive Richtung gehen. Nun trifft es zwei Große und der DFB hat ausnahmsweise mal nicht seine Finger im Spiel und agiert als Richter, der einen Teilausschluss verkündet. Spiele wie 1. FC Union Berlin vs. Eintracht Frankfurt waren ausschlaggebend, dass von dieser Seite mit dieser Art der Sanktionen aufgehört wurde. Die Entscheidung im Fall Magdeburg vs. Rostock trafen indes die Polizei und der Sicherheitsbeauftragte des 1. FCM (so der inoffizielle Stand der Dinge).
Sehen wir uns mal in Europa um. Teilausschlüsse gehören in manchen Ländern bereits zu den Alltäglichkeiten. Nehmen wir nur einmal die Griechen. Griechenland war eines der beliebtesten Reiseziele europäischer Gewaltvoyeure. Die Polizei dort kann einfach nicht mehr in diesem durch Krisen geplagten Land. Wirtschaftlich sind die Griechen kaputt. Der Staat steht am Abgrund. Auch für den Touristen ist es unschwer zu erkennen, dass hier kein Respekt mehr vor der Polizei existiert.
Und wie sieht es bei uns im Land aus? Die Polizei hat alle Hände voll zu tun. Die Zuwanderer-Diskussion ist die eine Sache. Da wären auch die vielen regierungskritischen Demonstrationen, die aufgrund von Gegenveranstaltungen von so vielen Beamten abgesichert werden müssen, sodass beispielsweise das Spiel in der Regionalliga zwischen Carl Zeiss Jena und dem BFC Dynamo abgesagt werden musste.
Der Fußball-Mob war hierzulande eigentlich immer nur ein eher kleines Ärgernis. Wir haben in Deutschland keine Verhältnisse wie in Polen, wo die Fans bereits zum Zünglein an der Waage bei Wahlen wurden. Dort waren die Fans wirklich der Staatsfeind Nummer 1 und das wurde ganz offen so behandelt. Während man bei uns die „Merkel muss weg“-Rufe im Rahmen von Spielen an einer Hand abzählen kann, so bräuchte man in Polen sehr, sehr viele Hände für das bekannte „Donald, du Dummkopf, deine Herrschaft zerstören die Fans“.
Doch kommen wir zurück zum im März anstehenden Duell 1. FC Magdeburg gegen Hansa Rostock. Zugegeben, wer das Hinspiel miterlebt hat - dabei meine ich nicht das Spiel an sich, sondern die Begleitumstände z.B. nach dem Spiel auf der Straße oder vor dem Spiel direkt am Ostseestadion - für den kommt dieser komplette Teilausschluss zwar auch überraschend, aber in dem Kontext der Überlastung der Beamten mag er nachvollziehbar sein. Andererseits aber ist das nun die große Möglichkeit für die Hooligans und Ultras beider Seiten, sich einmal von einer kultivierten und kommunikativen Seite zu zeigen. Vielleicht gelingt irgendwann einmal ein gemeinsames Wirken für die gemeinsame heilige Sache.
Um zu sehen, wie es optimal laufen kann, braucht man gar nicht so weit in die Ferne zu schweifen. In Polen, so berichtete man es mir bei der Pielgrzymka kibicow (Pilgerfahrt der Fans), wären solche Veranstaltungen noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen aufgrund von scheinbar schier unüberwindbarer Feindseligkeiten. Heute reicht ein Polizeiauto für 5.000 Fans verschiedenster Vereine. Pogon Szczecin spielte gegen Zawisza Bydgoszcz und die Gäste durften nicht kommen. Es ist nur eins von vielen Beispielen. Plötzlich gab es nach dem Spiel Rufe und zirka 150 Gäste-Fans gaben sich zu erkennen. Sie bedankten sich bei Szczecin für die Hilfe. Zudem erlebte ich Zawisza in Bytom. Es war ein Gänsehautgefühl. Sie bedankten sich auch hier für das Organisieren der Tickets. Bytom antwortete mit: „Hooligans halten immer zusammen!“
Magdeburg könnte nun die Wende bringen. Hier könnte ein Zeichen gesetzt werden, dass es auch die teils zerstrittenen deutschen Fans schaffen, sich zusammenzuraufen. So hat der Teilausschluss noch einen guten Aspekt und fördert die Solidarität. Ausländische Fans waren fassungslos, als im Dezember 2008 beim Oberligaspiel TeBe gegen BFC Dynamo die einheimischen Anhänger Beifall klatschten, während die an diesem Tag wahrlich unschuldigen Dynamo-Fans von polizeilichen Einsatzkräften verprügelt wurden. Wird der 5. März tatenlos hingenommen, dann ist es vermutlich der Startschuss für weitere solcher Maßnahmen und die Spirale der einschränkenden Mittel ist nicht mehr aufzuhalten. Was folgt danach? Kollektivstrafen wie in Griechenland oder Polen, die die Auswärtsfahrten für alle streichen? Massen-Registrierungen für vulgäre Gesänge wie in Polen mit der sofortigen Zahlungsaufforderung noch am Stadiontor? In die Persönlichkeitsrechte eingreifende Fancards wie die Tessera del Tifoso in Italien? Ohne Frage, Deutschland ist an einem kritischen Punkt angelangt.
Update 16. Februar 20 Uhr:
Die Katze ist soeben aus dem Sack: "Der 1. FC Magdeburg hat sich entschieden, dem FC Hansa Rostock das für dieses Spiel das maximal mögliche Gästekartenkontingent von 700 personalisierten Karten zur Verfügung zu stellen." So teilte es der 1. FCM mit. Da der eigentliche Gästeblock seit Saisonbeginn geschlossen ist und nun umgebaut wird, nahmen bislang die Gästefans auf der Hintertortribüne Platz. Damit man sich einen Eindruck verschaffen kann, was 700 Tickets bedeuten: Der Chemnitzer FC war mit 954 Fans vor Ort, der FC Rot-Weiß Erfurt mit rund 1.800. Beim brisanten Duell gegen den Halleschen FC wurde der Gästebereich sogar noch mehr gefüllt. Der FC Energie Cottbus brachte immerhin 705 Fans mit. Aber klar: Diese verloren sich ein wenig in diesem Bereich des Stadions ... Wirklich massive Probleme gab es bei keinem der vier Spiele. Am hitzigsten war das erste Heimspiel gegen Erfurt, aber der geschulte Ordnerdienst hatte alles im Griff gehabt.
Text: Marco Bertram & Michael
Fotos: Marco Bertram, Arne Amberg, Karsten Höft, Tobi
Ligen
Benutzer-Kommentare
Das kam gerade:
http://1.fc-magdeburg.de/saison/aktuelles/1-fc-magdeburg-stellt-gaestekartenkontingent-fuer-ostduell-gegen-fc-hansa-rostock-zur-verfuegung/5825/
Auch nicht das Gelbe vom Ei.
Keine Gegendarstellung? Kein Einlenken. Aussitzen??!!