Beflügelt durch das Montagsspiel stieg die Motivation mal wieder „etwas“ weiter in das Nachbarland vorzudringen. Zwischenzeitlich war ich ziemlich angewidert von den diktatorischen Verhältnissen gegenüber Fußballfans, aber es regt sich was. Noch ist Polen nicht verloren. Nachdem das Zuschauerverbot beim Pokalspiel in Szczecinek doch ein paar höhere Wellen schlug, lief nicht einmal das gestrige Drittligaspiel zwischen Koszalin und Gdynia als Risikospiel. Meiner Meinung nach liegt es bei den Verboten an der Inkompetenz in den Behörden. Jedenfalls traf in der Woche ein offener Brief in Koszalin ein. Eine Reihe wichtiger Leute der Region, darunter auch der ein oder andere Wendehals, unterzeichneten diesen und stellten das Massenveranstaltungsgesetz in Frage. Unter Punkt 10 der Unterstützenden befand sich auch der Sammelbegriff „media“ (Medien), wodurch bewiesen wurde, dass da irgendeiner der deutschen Sprache mächtig ist und den Artikel vom 3. März hier auf der turus-Seite fand. Kritik vom Ausland ist in Polen schon seit jeher eine heiße Angelegenheit. Ungewöhnlicher Weise kritisierten auch die lokalen Medien das Theater. Aber das nur als kleine Einleitung.
Einkaufen, tanken und das Derby Polonia Płoty vs. Pomorzanin Nowogard
In den ersten Grenzgänger-Heften wurde ja noch über die Graupen-Spiele geschrieben. Dieser Samstag bringt jetzt einen Bericht dieser Güteklasse. Wer nur auf Pyrotechnik, Hammer-Mobs und Randale steht, kann jetzt die Seite wieder schließen. Heute ging es in etwas tiefere Ligen. In Płoty stand das Derby gegen Nowogard an (6. Liga). Dazu passte das 12:00-Uhr-Spiel Mewa Resko gegen Orzeł Pęzino hervorragend, was aber nicht von Bedeutung war. Etwas anders sieht es beim Derby aus. Für eine Weile wird es das letzte Derby sein, da im Falle Nowogards der Abstieg winken dürfte. Der Weg führte über świnoujście und Golczewo. Ich kannte Golczewo immer nur durch die Durchfahrt – Kreisverkehr, Burgturm, Stadion. Ein kleines nettes Städtchen, könnte man denken. Hinter der Fassade gibt es auch düstere Seiten. Die Gegend um den Bahnhof (stillgelegt) sieht derbe aus. Kinder spielten auf dem Hof eines verdreckten Grundstücks. Wäre nicht dunkelgrau-gelblicher Qualm aus dem Schornstein gekommen, hätte ich das Haus als verlassen eingeschätzt. Kaputte Fensterscheiben wurden durch Bretter ersetzt. Vermüllung und der kaputte Zaun hätten die These noch weiter unterstützt. Polen hat einen erschreckend hohen Zuwachs an Kinderarmut, Unterernährung und Obdachlosigkeit zu verzeichnen.
Konkrete Gegenmaßnahmen seitens der Regierung liegen vor, doch die Opposition funkt ständig mit anderen Themen dazwischen, sodass seit November nie Ruhe in dem Laden ist, obwohl die Zeit für ein gemeinsames Beseitigen der Zustände besser genutzt werden könnte. Die Zeit erlaubte sogar noch einen kleinen Waldspaziergang. Die Wälder bieten hier die pure Erholung. Ebenso liegt der Sportplatz in Resko nah am Fluss Rega und damit in nicht unattraktiver Lage. Er wurde sehr schlich gehalten. Auf einem Wall gibt es zwei Reihen Bänke, zu denen krumme und überwachsene Treppenstufen führen. Am Ende des Walls befindet sich hinter einem überdimensionalen Tor ein Gästeblock für 28 Leute. Auf der Flussseite gibt es auch noch ein paar Bänke. Gegner Orzeł Pęzino spielt gegen den Abstieg und wird nur einmal in 100 Jahren von einem Mob unterstützt. In Warnice hatte ich sie vor knapp zwei Jahren mit 40 Leuten gesehen. In derselben Saison gab es bei Orkan Suchan auf die Nase. Suchan liegt auf der Strecke nach Bydgoszcz.
Gäste aus Pęzino gab es heute leider nicht. Mewa war für mich bisher ein unbeschriebenes Blatt und so war ich doch etwas überrascht, als sich auf der anderen Seite ein kleiner Haufen hinter einer schlichten Fanklub-Fahne tummelte. Mewa (Möwe) kämpft um den Aufstieg in die 6. Liga, aber Unterstützung gab es heute keine, so verspielten sie einen Vorsprung von zwei Toren. Am Ende hieß es 2:2. Kurz vor dem Schlusspfiff wurde es zum ersten Mal richtig hitzig, als sich aus einem Foul eine Schlägerei unter den Spielern entwickelte. Im Resultat: ein Platzverweis für Orzeł. Kreuzchen gesetzt und da war es nur noch ein fehlender Ground in der Nordstaffel der Stettiner Landesliga.
Bis zum Anstoß in Płoty war es noch eine Stunde. Das dringend benötigte Buch gab es nicht in der Buchhandlung, da es auch anscheinend die Buchhandlung in Płoty nicht mehr gibt. Also wurde vorzeitig der Einkauf erledigt. Grundsätzlich hole ich nur die Sachen, die es bei uns nicht gibt. Dabei zog ich bei der Wurst das Glückslos. Genau so hatte ich die Kiełbaska von 1999 in Erinnerung. Lecker, fettig, aber mit diesen Knorpelstücken, weshalb damals doch lange Zeit ein Bogen um sie gemacht wurde. Heute ist die unter dem Namen Festtags-Wurst zu haben. Birkensaft geht auch immer. Schmeckt wie stark verdünnter Essig mit Zucker mit einer kleinen holzigen Note. Außerdem landeten Trockenpflaumen im Schokoladenmantel und Chrupki im Warenkorb. Letztere sehen aus wie Würmer. Es ist gebackene Maisgrütze – zwar ohne Geschmack, aber gesünder als der herkömmliche Knabberkram.
Viele Leute, die eben noch hauptsächlich wegen Bier in den Läden waren, waren später auch im Stadion. Eigentlich ist das immer noch verboten. Die Polizei interessierte das heute gar nicht. Mal so, mal so. Auch die Gäste hatten Ruhe. Sie wurden weder registriert noch verprügelt. Pomorzanin war mit 30 Fans angereist. Sie trafen sich auf einem zentralen Platz und fuhren dann im Autokorso nach Płoty. Im Stadion konnten sie sich frei bewegen. Das Potenzial war nicht schlecht. Generell liefen hier viele sportliche und grimmige Typen rum. Płoty war mal eine Weile nicht so beliebt. 2006 besuchte ich das Derby zwischen Gryfice und Płoty. Gryfice sind die Freunde von Pomorzanin. Bei dem Spiel bot Sparta einen 100er Mob, Pyrotechnik der alten Schule, eine gezogene Fahne und Rennereien nach dem Spiel. Ein wirklicher Feind war Płoty aber nie.
Das ist hier alles noch Gebiet von Pogoń Szczecin. Beim letzten Besuch in Płoty war die Haupttribüne gut gefüllt und auf der gegenüberliegenden Seite gab es drei bröckelnde Stufen. Die Stufen sind weg und die Zuschauer auch. Vielleicht 200 Leute schauten heut zu. Gesungen wurde nicht. Ein Opa pöbelte gegen den Schiedsrichter, aber sonst herrschte Schweigen im Walde. Pomorzanin braucht unbedingt größere Gegner, was aber mit dem aktuellen letzten Tabellenplatz die Situation nicht verbessern wird. Dazu gab es vor kurzer Zeit auch noch einen Streit mit der Klubführung mit einem damit einhergehenden Stimmungsboykott. In der ersten Halbzeit glänzten sie nur durch Anwesenheit und drei Fahnen. Darunter war eine schlichte mit der dargestellten Stadtsilhouette von Nowogard und dem Spruch: Unser Nowogard – wir lieben es…
Dieser Sinn für Lokalpatriotismus ist bemerkenswert. Wie oft betiteln hierzulande Leute aus kleinen Städten ihren eigenen Ort mit Kaff? Schrecklich. Jede Stadt hat doch irgendwas, worauf man stolz sein kann. Dann wurde die Versammlung der Pomorzanin-Fans offiziell beendet und man zog sich auf den Stadionparkplatz zurück, da dort das Bier wartete und die Sonne schien. Die Mannschaft hatte nur eine Chance, die aber genutzt wurde. Polonia hatte gefühlte 100 Chancen, von denen drei genutzt wurden. Am Ende war ich einigermaßen zufrieden. Man darf nur keine Vergleiche zu vor zehn Jahren anstellen. Und wer, es dennoch tut, kommt durch Kippen kaufen und Tanken auch auf seine Kosten.
Fotos: Michael