Auswärtstouren nach Großaspach, nach Aalen, nach Wiesbaden, zu den Amateuren des VfB Stuttgart. Immer und überall - die Anhängerschaft der Sportgemeinschaft Dynamo Dresden begleitet stets überaus zahlreich ihre Mannschaft. Auch an einem Mittwochabend. Auch zu unattraktiven Gegnern. Nun beim endgültig in trockene Tücher gebrachten Aufstieg konnten rund 700 Dynamo-Fans allerdings nicht die Früchte ernten und im Gästeblock eine Party feiern. Nachdem es am Einlass zu turbulenten Szenen gekommen war, entschieden die Verantwortlichen des 1. FC Magdeburg aufgrund der „aggressiven Grundstimmung“ das Hausrecht wahrzunehmen und die rund 700 Fans nicht ins Stadion zu lassen. Nun weiß jedoch jeder Fußballfreund, der öfters auswärts auf Achse ist, wie schnell eine Situation eskalieren kann. Werden Fans nur tröpfchenweise ins Stadion gelassen, staut es sich mächtig auf, beginnt das Geschiebe - schnell kippt die Stimmung, rasch erfolgt der Griff zum Pfefferspray. Der Rest ist ein Selbstläufer. Ist das Ganze erst einmal in Schräglage geraten, können die Schotten komplett runtergelassen werden. So geschehen am heutigen Tag. Im Gästeblock gab es riesige Lücken, ein Großteil der aktiven Szene war nicht drin. Das UD-Banner bekam der Stadionbesucher am heutigen Tag somit nicht zu sehen. Der Preis war hoch. Jeder kann sich vorstellen, dass die 700 SGD-Fans die geschlossenen Tore nicht einfach so hinnahmen. Zahlreiche Verletzte waren auf beiden Seiten zu beklagen. Und ruhig blieb es im Gästeblock trotzdem nicht. Und was das Geschehen vor dem Gästeblock betrifft - da gehen die Aussagen weit, sehr weit auseinander. Nicht wenige Fans beklagten, dass Verletzten sogar die notwendige Hilfe versagt wurde. Man könnte an dieser Stelle zahlreiche Augenzeugenberichte heranziehen, allerdings soll es in diesem Bericht um das gehen, was mit eigenen Augen gesehen wurde.
11 Uhr Magdeburg Hauptbahnhof. Vor dem Haupteingang hatte die Polizei groß aufgefahren. Wasserwerfer und zahlreiche Einsatzkräfte standen bereit. Würden zahlreiche Dynamo-Fans doch wie anfangs geplant am Hauptbahnhof eintreffen? Etliche FCM-Fans hatten sich vor dem Bahnhof gesammelt. Ein Empfangskomitee für etwaige schwarz-gelbe Ankömmlinge? Der Grund war ein anderer. In der „Volksstimme“ war am Tag zuvor von einem Magdeburger Fanmarsch die Rede, der gegen 11 Uhr starten würde. Eine fannahes Onlinemagazin hatte sogleich diese Meldung übernommen. Fakt ist jedoch, Block U hatte zu keinem Fanmarsch aufgerufen. Los marschiert war zehn nach elf trotzdem eine beachtliche blau-weiße Truppe. Auf der klassischen Brückenroute ging es schnurstracks gen Stadion. Immer wieder detonierten Böller, etliche Bengalen und Rauchtöpfe wurden gezündet.
Anfangs machten behelmte polizeiliche Einsatzkräfte einen nervösen Eindruck und drohten gar damit, die Pyro-Zündler herauszuziehen. Glücklicherweise zogen sich die Polizisten noch vor der ersten Brücke zurück. Böller wurden weiter gezündet, allerdings blieb es - wie fast immer bei den Magdeburger Fanmärschen - völlig friedlich. Die Besatzung des örtlichen Einsatzwagen der Polizei, der an der Spitze fuhr, trug kurz vor Ankunft mit bei zu entspannten Stimmung. Über Lautsprecher wurde das „Magdeburger Lied“ abgespielt, und schon bald ertönte es im Chor „Ist denn die Elbe immer noch dieselbe…“. Eine geniale Aktion - und es wäre wünschenswert, wenn von der Polizei immer solch eine Strategie gefahren wird.
Statt einem vorgespielten Lied gab es jedoch für die vom Bahnhof Magdeburg Herrenkrug heran marschierten Anhänger der SG Dynamo Dresden eine andere Überraschung: Eine komplizierte Einlasssituation, bei der am Ende das eingangs beschriebene Szenario herauskam. Als kurz vor Spielbeginn im Gästebereich, der den alten Stehblock und ein Stück der Hintertortribüne umfasste, immer noch keine relevanten Banner und Fahnen hingen, ahnte man im Stadion, dass es draußen Probleme ernsthafter Natur geben könnte. Die Ränge waren voll, nur der Gästeblock war zum Anpfiff nicht mal halb gefüllt. Ein trauriger Anblick! So hatte man sich das mit Hochspannung erwartete Ostduell nicht vorgestellt. Allerdings blieb die Hoffnung, dass UD & Co verspätet den Weg in den Block finden würden.
Als sich verstärkt Hektik breit machte und viele Gästefans wieder nach draußen drängten, war ziemlich klar, dass es am Einlass ernste Probleme geben würde. Auf Heimseite wurde indes die erste Zündstufe eingeläutet. Oben und unten wurden zahlreiche Bengalen angerissen. Als rote Lichterketten rahmten sie die im Block U wehenden Fahnen ein. Die Stimmung war wie immer in dieser Saison großartig und das zentral aufgehängte Banner von Hutnik Kraków ließ vermuten, dass auch polnische Freunde zu Gast waren im Block U.
Im Gästeblock wurde indes schon mal probehalber an den Zäunen gerüttelt. Drei Vermummte machten sich zu schaffen und trennten die ersten Kabelbinder und Riemen durch, welche die zusätzlich aufgestellten Zaunelemente zusammenhielten. Ein Ordner versuchte mit einem Papprohr die Jungs auf der Zaunkrone von dieser Tätigkeit abzuhalten. Als erste Böller detonierten, kam das Gefühl auf, dass es an diesem Nachmittag richtig ungemütlich werden könnte. Die wütenden Gesichter ließen zudem drauf schließen, dass von draußen keine Fans mehr nachrücken würden. Als sämtliche Fanclubfahnen abgenommen wurden und von draußen Rauch und beißender Geruch hineinströmte, war klar, dass im Gästeblock wohl keine freudige Party mehr zu erwarten war. Egal, wie das Spiel ausgehen möge.
Auf dem Rasen drückte indes der 1. FC Magdeburg mächtig aufs Gaspedal und wollte mit aller Kraft die Führung. Von Minute zu Minute wurden die Gastgeber mutiger. Das 1:0 lag in der Luft. Unter anderen hatte sich Brandt in der 22. Minute versucht, nur vier Minute machte Beck fast ein Tor per Seitfallzieher, doch der Ball zischte am Gehäuse vorbei. Belohnt wurde der Aufwand in der 41. Minute. Nach prima Zuspiel von Sowislo konnte Niemeyer das Spielgerät über den herauseilenden SGD-Keeper Wiegers im Kasten unterbringen. Was für Ekstase auf den heimischen Rängen! An der Pufferzone der Gegengerade drehte die Hool-Fraktion vor Freude fast komplett durch. An der ausgelegten Plane wurde gerissen, manch einer lief schon mal paar Meter in Richtung Gästeblock.
Nach der Halbzeitpause - der Stehplatzbereich des Gästeblocks war bereits fast komplett leer, der Sitzplatzbereich war noch zu einem Drittel gefüllt - wurden die Verbliebenden vehement aufgefordert auch rauszugehen. Nicht jeder kam der Aufforderung nach, doch unter dem Strich ergab nun der Gästebereich einen wirklich krassen Anblick. Die sich warm machenden Auswechselspieler der Sportgemeinschaft fragten immer wieder, was denn nun los sei. Dynamo brauche Unterstützung, um den nötigen Punkt zu holen. Mit hitzigen Worten wurde den Spielern die Situation erklärt. Mitten rein platzte das 2:0 des 1. FC Magdeburg nach einer Stunde. Farrona Pulido war der umjubelte Torschütze. „Scheiß Dynamo!“ hallte es nun lautstark von den Rängen.
Die Antwort der Gäste ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Postwendend war Testroet mit dem Kopf zur Stelle. Der abgefälschte Ball zappelte im Magdeburger Gehäuse. Jubel im sich wieder zaghaft füllenden Gästebereich. Als nur vier Minuten später Eilers den Ausgleichstreffer erzielte, gaben die rund 1.000 anwesenden SGD-Fans noch mal alles. Manch einer schoss jedoch über das Ziel hinaus. Als die Spieler an der Eckfahne feierten, flog mitten rein eine Rauchbombe, aus deren Seiten es mächtig qualmte. Da man ja nicht ahnen konnte, ob dieses Monstrum wie ein polnischer Böller noch detonieren könnte, sprangen die Spieler fix beiseite. Einer trat jedoch beim Weggehen das rauchende Teil kurzerhand vom Spielfeld. Nur blöd, dass es sich in der einen elektronischen Werbebande einbrannte. Sekunden später wurde es auf dem Beton mit Wasser gelöscht.
Als auch noch Böller und weitere Gegenstände flogen, wurde die Partie kurzzeitig unterbrochen. Zwei auf der Gegengerade landende Leuchtkugeln sorgten für reichlich Unruhe und es hätte nicht allzu viel gefehlt, das Ganze komplett ausufern zu lassen. Kurioses geschah noch auf dem Rasen. Plötzlich wurde das Freundschaftsbanner des 1. FC Magdeburg und des BFC Dynamo (betrifft nur die alte Garde) von zwei Männern präsentiert. Ein Ordner drängte die beiden jedoch kurzerhand vom Platz. Wie in Magdeburg meist auf Heimseite üblich: Das Ganze wurde ohne viel TamTam gelöst. Zurück in den Zuschauerbereich - und gut war.
Nachdem die Partie fortgesetzt werden konnte, ertönte im arg ausgedünnten Gästeblock das Europacup-Lied. Die Anwesenden versuchten nun so gut wie es ging die Mannschaft zu unterstützen bzw. zu feiern. Nachdem das 2:2 über die Runden gebracht wurden, flogen zwei, drei weitere Leuchtkugeln in Richtung Heimfans. Rauch stieg auf, doch im Stadion blieben Auseinandersetzungen aus. Auf das Feiern am Zaun verzichtete die SGD-Mannschaft. Arg hektisch wurde es draußen. Die im Tunnel zwischen Gegengerade und Block U wartenden polizeilichen Einsatzkräfte ließen bereits vermuten, was vor dem Stadion folgen würde. Noch wurden in Seelenruhe die Magdeburger Banner eingepackt, Minuten später eskalierte es. Die Polizei sprach davon, dass FCM-Anhänger versucht hatten zum Gästeblock durchzubrechen. Andere Augenzeugen meinten jedoch, dass es zu gezielten Provokationen kam, um das Ganze ausufern zu lassen.
Fotos: Marco Bertram
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