„Na, Lust auf boxen?“ Bei Mettbrötchen und Schokomilch wurde im Pausenraum das letzte Wochenende ausgewertet und das Geschehen am kommenden Spieltag angekündigt. „Ihr geht doch wieder laufen…“ Gelächter. Mit einem Handwisch wurde mal eben der Tisch freigeräumt. Abgegrabbelte, speckige Boulevardblätter aus dem Rheinland, leere Milchbecher, Fressschälchen, Brötchenreste - alles landete auf dem klebrigen Boden. Bäh, war das eine versiffte Bude. Und in dieser saßen die Auszubildenden des großen Chemie-Konzerns und diskutierten über Weiber, Autos und Fußball. Die dritte Halbzeit inklusive. Vertreten waren Fans diverser Vereine. Und da einige Lehrlinge von weiter her kamen und in Wohnheimen untergebracht wurden, war die Palette wahrlich bunt. Schlosser, Chemikanten und Elektroniker als Fachrichtung. Schalker, Kölner, Leverkusener, Düsseldorfer, Dortmunder und sogar Aachener bezüglich der Fußballfarben. Dazu noch einige aus dem Osten. Es war alles dabei. Was die sportliche Fraktion betraf, so wurde schnell deutlich: Zu Beginn der 1990er waren Schalke und Köln in NRW das Maß aller Dinge. Klar, einen guten Ruf hatten unter anderen auch die Gladbacher und Bochumer, doch die Spiele zwischen den Knappen und den Geißböcken war eine Nummer für sich. Dass nicht nur im Blaumann bei Mett und Schoko geprollt wurde, sondern sich am Spieltag auch gerade gemacht wurde, durften wir unter anderen am Nikolaustag des Jahres 1992 bestaunen.
FC Schalke 04 vs. 1. FC Köln: Als die Nikoläuse vor 25 Jahren im Parkstadion Bambule machten
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Eine Kölsche Sause nach Gelsenkirchen am Abend des 06. Dezember 1992? Das schrie regelrecht nach einer Mottofahrt. Viel TamTam wurde nicht gemacht. Kurzerhand setzten sich zahlreiche Kölner Fans und Hools eine Nikolausmütze auf. Und gut war. Zu zweit düsten wir indes auf eigene Faust gen Parkstadion und kauften uns vor Ort eine Eintrittskarte für den Block 7. Auf Kölner Seite, aber nicht mittendrin im Gästemob. Karsten und ich waren völlig flexibel, was im Allgemeinen die Blockwahl betraf. So standen wir gegen Werder Bremen in der Heimkurve, das Derby gegen Borussia Dortmund hatten wir einmal vom Gästeblock und einmal von der Schalker Seite aus gesehen. Eine Kurve musste es sein - des Preises wegen. Gegen den 1. FC Köln legten wir für eine ermäßigte Karte gerade mal acht Mark hin. Der Knüller: Mit dem Ticket konnte man vor und nach dem Spiel im VRR-Bereich gratis Bus und Bahn fahren.
Der angereiste Kölner Mob konnte sich damals vor 25 Jahren wahrlich sehen lassen. Dass indes auch zu jener Zeit am Sonntag mitunter ein Spiel um 20 Uhr abends angepfiffen wurde, hatte ich nicht mehr auf dem Schirm gehabt. So dachte ich immer, dies sei ein Freitagabendspiel gewesen. Doch denkste, der Blick auf den Spielplan zeigte es an: Es war ein Sonntag. Auf in den Kampf! Beim Lesen der Aufstellung kommt mir quasi jeder Name wohlbekannt vor. Erstaunlich, wie sich die damalige Spielergeneration ins Gedächtnis gebrannt hat. Karsten Baumann, Patrick Weiser, Henri Fuchs, Horst Heldt und Andrzej Rudy bei den Kölnern. Von Bodo Illgner und Pierre Littbarski ganz zu schweigen. Und bei den Schalkern? Alles bekannte Namen. Bent Christensen, Radmilo Mihajlovic, Steffen Freund, Holger Gehrke und Yves Eigenrauch. Bei den meisten habe ich sogar das Gesicht parat. Allein bei Günter Güttler muss ich kurz überlegen. Er ist der einzige, dessen Name mir eher unbekannt vorkommt.
Ach herrlich, Karsten und ich hatten damals unseren Spaß. Neben uns brodelte es im Kölner Block, es waren einige gute Leute am Start. Der Block 38 auf Auswärtstour. Ein wenig sprachlos wurden wir allerdings, als im späteren Verlauf die Kölner Hools plötzlich ernst machten und ein paar Zaunfelder zur Haupttribüne hin aufschnitten / aufbogen. Es wurde nicht lange gefackelt und zum Überraschungsangriff geblasen. Im Netz kursieren ein paar Polizeiaufnahmen und TV-Sequenzen von dieser Aktion. Die Jeans-Hosen-Fraktion mit Nikolausmützen kletterte durch den demolierten Zaun und stürmte zahlreich den unteren Sitzplatzbereich der Haupttribüne. Die dort sitzenden Schalker ließen sich jedoch nicht lumpen und stürmten den Kölnern entgegen, so dass diese wieder den Rückzug antreten mussten.
Sat.1 hielt damals die Kamera drauf, und der legendäre Moderator Werner Hansch (die Stimme des Ruhrpotts) suchte nach den passenden Worten: „… unschöne Bilder. Freunde, das ist ja ganz grausam! Wir haben so friedvolle Demonstrationen gegen Rechtsradikalismus, gegen Ausländerfeindlichkeit. Und jetzt solche Szenen! Ja, wo soll man da anfangen?“ Währenddessen segelte eine von den Kölnern abgeschossene Leuchtkugel in Richtung Haupttribüne. Sicherlich keine schönen Bilder, allerdings wird diese Aktion wenig mit Ausländerfeindlichkeit zu tun gehabt haben. Türken, Kurden - beim Fußball in Köln und Gelsenkirchen mischten sie allesamt mit. Auch bei der dritten Halbzeit.
Nachdem sich die Kölner in ihren Block zurückgezogen hatten, stürmten die polizeilichen Einsatzkräfte in den Gästebereich und sicherten den arg lädierten Zaun ab. Im hinteren Bereich stieg orangefarbener Rauch auf, zu weiteren Aktionen kam es aufgrund der großen Polizeipräsenz nicht mehr. Und auf dem Rasen? Vor insgesamt 33.100 Zuschauern konnte der S04 das hitzige Duell mit 1:0 für sich entscheiden. Den Treffer des Tages erzielte Radmilo Mihajlovic nach Vorarbeit von Bent Christensen in der 23. Minute. Ist das wirklich schon ein Vierteljahrhundert her? Wahnsinn! Auch wenn die Erinnerungen an diesen lebhaften Abend nur noch bruchstückhaft vorhanden sind, so wird die Aktion der Kölner „Nikoläuse“ wohl bis ans Lebensende nicht vergessen werden…
Anmerkung:
Dies ist Tür 16 eines Weihnachtskalenders. Tür 17 öffnet sich morgen auf Nachspielzeiten.
Der Fußball-Weihnachtskalender ist ein gemeinsames Projekt von@berlinscochise, Zebrastreifenblog, Cavanis Friseur, turus.net, Nachspielzeiten und 120minuten.
Informationen zur Fußballblog-Weihnachtskalender-Idee und eine Liste mit allen bisherigen Türchen, die natürlich fortlaufend aktualisiert wird, findet Ihr hier.
Fotos: Marco Bertram, K.H.