In der 59. Spielminute gab es für die Fans auf der "West" endgültig kein Halten mehr, zwei kletterten sogar über den Zaun und liefen in den Innenraum, um mit den RWE-Spielern vor der Heimtribüne zu feiern. Gerade ist das 5:0 gegen den Rivalen den Wuppertaler SV gefallen und kaum einer hätte im Vorfeld mit so einem Ergebnis gerechnet. Gingen doch die letzten beiden Liga-Duelle an die Bergischen und auch der rot-weisse Start in die Saison vergangene Woche (2:1 Niederlage in Rödinghausen) sorgte für viel Frust bei den leidgeplagten Fans.
Seit Jahren tingelt die rot-weisse Reisetruppe durch die höchste Liga des "Amateurfußballs" bisher am Ende immer ohne echte Chancen auf Liga 3, um trotzdem Jahr für Jahr an die Hafenstraße wiederzukehren. Die Fans von Rot Weiss Essen sind treu und leidensfähig, trotz des nicht immer sehenswertes Gekicke in den vergangenen Jahren. Auch für diese Saison wurden an die 4.000 Dauerkarten abgesetzt. Alle die zugegriffen haben wurden heute mit einem spielerischen Highlight belohnt, von denen es in den letzten Jahren kaum welche gab. Kein Wunder also das die "Westtribüne" 90 Minuten in Ekstase war.
11.077 Zuschauer kamen zu dem Viertligaspiel (darunter gut 2.200 aus Wuppertal). Der Dachverband „Westtribüne Essen“ rief zum Fahnentag an der Hafenstraße auf und so wurde ein sehenswertes Choreo-Intro bestehend aus reichlich Konfetti und Fahnen unter dem Motto (angelehnt an ein RWE-Lied) "Wenn Rot Weisse Fahnen wehen in der Kurve West, wissen alle ganz genau, unser Sieg steht fest" initiiert. Die Wuppertaler Fans (unterstützt von einigen Anhängern von Fenerbahce Istanbul) stimmten ihr Team mit einer Gästeblock großen rot-blauen Schal-Choreo ("Wir stehen immer für Dich ein, ganz egal in welcher Liga") ein.
Einstehen mussten die WSV-Fans für ihren Klub sehr früh, denn der Ball rollte wenige Sekunden die Choreo-Fahnen und Schals waren noch nicht verpackt da klingelte es schon im Wuppertaler Kasten. Florian Bichler traff zum 1:0 für RWE. Die Essener Fans konnten es kaum fassen und rasteten aus, die Wuppertaler sangen frustriert weiter. Reichlich Liedgut aus der Rubrik Schmähgesang sowie Sprüche auf Papier wurde zwischen Heim- und Gästefans ausgetauscht, während auf dem Rasen ebenfalls nicht zimperlich zugelangt wurde. Dem Schiedsrichter entglitt ein wenig die Partie und er verteilte von da an seine gelben Kartons.
Die Essener Fans trauten ihren Augen kaum: Der lang versprochene und (fast) nie gehaltene so genannte "Hafenstraßenfußball" wurde regelrecht zelebriert. Ein Wuppertaler Angriff wurde mit einem schnellen Gegenstoß über die Außen beantwortet. Vor allem Florian Bichler und einmal mehr Kai Pröger wussten zu gefallen. Bichler bereitete dann auch das 2:0 vor. In der 32. Spielminute musste Daniel Heber nur noch den Fuß hinhalten. Nur vier Minuten später explodierte das Stadion förmlich, als Kai Pröger einfach mal aus 20 Metern Maß nahm und seinen Schuß in den Winkel knallte: 3:0. Publikumsliebling Marcel Platzek ("Fußballgott") vollendete die erste Hälfte mit einem Kopfballtor zum 4:0.
Was war denn hier los. Bei 30 Grad im Schatten ("Trinkpausen sind nur was für Profis") mal eben vier Dinger in 45 Minuten. Für RWE-Trainer Karsten Neitzel kein Grund zum Durchschnaufen. Trotz vorteilhafter Führung, agierte er am Seitenrand, als würde es Unentschieden stehen. Richtig, denn kaum aus der Pause versuchte Wuppertal (übrigens mit zahlreichen Ex-RWE Akteuren im Kader) sein Glück im Angriff. 15 Minuten ließen die Essener die rot-blauen gewähren, dann bekam der megastarke Florian Bichler den Ball in der Mitte des Spielfeldes, verstolperte ihn fast auf dem Weg zum Tor konnte sich aber fangen und krönte seinen unglaublichen Solo-Lauf mit dem 5:0. Kollektives ausrasten mit oben beschriebenener Kletteraktion über den Zaun.
Das am Ende (83. Spielminute) den Wuppertalern noch der "Ehrentreffer" durch Gino Windmüller aufgrund eines Fehlers in der Essener Abwehr gelang, störte nur den Trainer. Die Wuppertaler konnten sich nicht darüber freuen und sehnten sich den Abpfiff herbei. Viel passierte auf dem Platz nicht mehr. Der ehemalige Essener Spieler Dennis Malura bat den Linienrichter per Zuruf endlich abzupfeifen und der Schiedsrichter erfüllte wenig später den Wunsch und überließ die Spieler ihren Fans. Die einen mußten zum Rapport vor den Gästeblock, die anderen durften sich vor der West ordentlich abfeiern lassen unter anderem auch von der Fangruppierung "Rude Fans" die ihr zehnjähriges Bestehen feiern und mit zahlreichen Spruchbändern von den Essener Fans bedacht wurden.
Es ist erst der zweite Spieltag, aber es zeigt was möglich wäre wenn der "Hafenstraßenfußball" einmal rollt. Essen muss unter der Woche im Pokal ran und spielt am kommenden Samstag beim Aufsteiger Kaan-Marienborn. Wuppertal empfängt den (ebenfalls Aufsteiger) SV Lippstadt.
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