87. Spielminute auf dem Sportplatz Leistikowstraße in der Gartenstadt vor den Toren Berlins. Angriff des SV Falkensee-Finkenkrug vor 450 Zuschauern. Zweimal konnte der verhasste Nachbar aus Brieselang Dank zweier Elfer ausgleichen, nun drückten die Jungs aus der Gartenstadt auf die erneute Führung. Der Sieg sollte her! Falkensee-Finkenkrug machte Alarm, ich hielt die Kamera bereit, ich wollte den möglichen Siegtreffer auf Video haben. Und ja, wirklich, da war das 3:2! Irre! Aber Mist, was war das?! Ein stechender Schmerz in der linken Wade. Ich verstand gar nicht recht und vermutete, mir sei beim Torjubel jemand übelst in die Kniekehle gesprungen. Aus Wut, vor Freude - was wusste ich. Ich drehte mich um, doch da war niemand direkt hinter mir. Während ich auf den Zehenspitzen stand, musste ich mir wohl die Wade verkrampft bzw. gezerrt haben. Ich überlegte nicht lange und filmte den bereits abebbenden Torjubel. Hatte es der Tabellenletzte der Brandenburg-Liga doch tatsächlich geschafft, noch das 3:2 zu erzielen. Und das gegen den Erzrivalen schlechthin!
Falkensee-Finkenkrug vs. Brieselang: Zwei Elfer, ein Platzverweis und das 3:2 in der 87. Minute!
Die letzten Minuten wurde um jeden Ball gefightet. An der Eckfahne ging es hoch her, die Zuschauer waren voll dabei. Adrenalin pur. Mir war indes immer noch nicht ganz klar, was mit meinem linken Bein passiert war. Als ich auftrat, knickte ich weg. Ich hockte mich kurz hin und massierte die Wade. Abpfiff. Humpelnd ging es nach hinten, wo die Spieler ausgelassen mit den Fans am Gartenstadt-Banner feierten. Immer wieder klopfte mir jemand mit fröhlichem Gesicht auf die Schulter. „Mann, das ist so geil!“ Immer wieder erklärte ich mit knappen Worten, warum ich ein bisschen verkniffen dreinschaute.
Was für ein scharfes Spiel, was für ein verrückter Abend! Vier Stunden zuvor ging es direkt von der ITB nach Falkensee-Finkenkrug. Zuvor hatte ich an einer Verköstigung des Restaurants „Pod Aniołami“ teilgenommen. Geräucherter Käse, Hirschwurst und Schmalz. Dazu gab es einen Sud, bei dem beim Köcheln Goldmünzen reingehängt werden. Eine uralte Tradition aus Kraków. Dann noch schnell ein Eis bei den Italienern - und dann ab mit S-Bahn und Regionalbahn gen Gartenstadt. Am dortigen Bahnhof traf soeben eine Truppe mit schwarzen Jacken ein. Auch Brieselang hatte für dieses Nachbarschaftsduell (von einem „Derby“ will man in der Gartenstadt nix hören) mobil gemacht. Für die sechste Liga sah das alles recht schön aus. Kurz vor Anpfiff bildete sich am Eingang zum Sportplatz eine beachtliche Schlange.
Die Zuschauer standen gemischt, ein Teil der Brieselang-Fans hatte jedoch den Platz auf der Gegengerade eingenommen. Einer von ihnen hatte die Bomber schon mal auf Orange gedreht. Drei, vier Kumpanen von ihm stiegen mit in die Pöbeleien in Richtung Falkensee-Finkenkrug ein. Ein bisschen Bock auf Bambule war zu spüren. Auf Heimseite wurden hinter dem Banner grün-weiß-schwarze Fahnen geschwenkt. Wenig später wurden Spruchbänder präsentiert: „Spieglein, Spieglein an der Wand…“, „Wer ist der geilere Verein im Land?“ Der Clou sollte dann wiederum wenige Minuten später folgen. Auf Gästeseite mischten sich FF-Fans unter und hielten ein drittes Spruchband hoch. Allerdings wurde es zu kurz präsentiert, zudem war über der hellen Werbebande die Botschaft kaum zu erkennen. In der zweiten Halbzeit wurde dann mit einem „Scheiß Brieselang!“-Spruchband nachgelegt.
Die 450 Zuschauer bekamen ein überaus spannendes Spiel zu sehen, in dem der Gastgeber Dank des Treffers von Christopher Schulze in der 34. Minute mit 1:0 in Führung ging. Hübscher Jubel bei den Spielern und Heimfans, der jedoch in der zweiten Halbzeit um einiges getoppt wurde. Richtig Fahrt nahm das Duell in der zweiten Halbzeit auf. Tumulte und Traubenbildung in der 60. Minute. Gelb hier, Gelb dort, und dann noch einmal Gelb-Rot auf der Heimseite. Was dort genau auf der Gegenseite passierte, war schwer einsehbar. Nun ging es richtig ab. Nur eine Minute später zeigte der Schiedsrichter auf den Punkt. Wütende Proteste bei Falkensee-Finkenkrug. Es half nichts, Maurice Malak traf vom Punkt aus. Ausgleich für Brieselang.
Als dann jedoch Christopher Schulze in der 70. Minute das 2:1 für Falkensee-Finkenkrug klarmachte, gab es kein Halten mehr. Kollektives freudiges Ausrasten. Ein Ersatzspieler baute sich vor einer Zuschauerin auf. Gab es vorhin Kritik? Hier siehste, 2:1 für uns! Die Gartenstadt war außer Rand und Band. Und es kam ja noch kurioser. In der 82. Minute gab der Schiri schon wieder einen Strafstoß für die Gäste. Fassungslosigkeit auf der Heimseite. Der Elfer konnte zuerst abgewehrt werden, großer Jubel bei Falkensee-Finkenkrug, doch im Nachsetzen konnte Kenta Sato zum 2:2 einnetzen.
Vorwärts! Alles auf eine Karte! Der Mut wurde belohnt. Drei Minuten vor Ablauf der regulären Spielzeit machte Sebastian May das 3:2 - und meine linke Wade war im Arsch. Laufen war am gestrigen Abend kaum noch möglich. Im Schneckengang ging es später zum Bahnhof, noch mehr Schneckengang war beim abschließenden Weg vom S-Bahnhof zur Wohnung angesagt. Passanten beäugten mich kritisch, da sie dachten, ich hätte einen im Kahn. Egal, das wird schon wieder werden. Somit wurde es mal wieder ein Fußballabend, den man so schnell nicht vergisst. Und diese kleine Verletzung reiht sich halt ein in die anderen Verletzungen, die es in all den mitunter turbulenten Fußball-Jahren gab:
Eine Mega-Ladung Pfefferspray direkt in die Augen beim Oberligaspiel TeBe vs. BFC Dynamo, ein strammer Mattuschka-Schuss direkt aufs Auge (die Brille zersplitterte in zig Einzelteile und hinterließ feine Schnittwunden) beim Zweitligaspiel Union Berlin vs. Eintracht Braunschweig, eine ins Gesicht geschlagene Kamera beim RL-Duell Hertha BSC II vs. 1. FC Lok Leipzig (ein Hallenser nahm das „Presse auf die Fresse“ wortwörtlich) und ein arg zerdeppertes Schienbein vor dem RL-Duell Union Berlin II vs. BFC Dynamo (ich machte von einem Stromkasten aus Fotos vom Marsch und rutschte dann hübsch an der Kante herunter). Da war das Ganze am gestrigen Abend noch vergleichsweise harmlos. Und es soll ja schon etliche Spieler gegeben haben, die sich bei orgiastischen Jubelorgien sogar die Bänder gerissen haben…
Fotos: Marco Bertram