Fliegende Fäuste, detonierende Böller, gegröltes Kriegslied – heißer Herbst 2011 in Chojna

Fliegende Fäuste, detonierende Böller, gegröltes Kriegslied – heißer Herbst 2011 in Chojna

Der kleine Grenzverkehr ist ja aktuell wieder in aller Munde! Zwar oft doch ziemlich belächelt, bringt er dann doch ereignisreiche Tage zustande. Heute gehen wir in die letzten Züge des Herbstes von 2012. Wir fahren nach Chojna. Die Zeiten, in denen hier gegen Torun oder Gdansk gespielt wurden waren damals schon lange vorbei. Und die Zeitmaschine fährt…

Eine große Vorgeschichte zu diesem Spiel gibt es nicht. Es ist einfach nur ein Derby. Für mich war auch nur das Rückspiel interessant, da Odra zu 99,9% keine Auswärtsspiele fährt. Von Moryn hatte ich da schon andere Sachen gehört. Nun wollte ich sie mal in einer aktiven Phase erwischen. Damals als ich 2007 den Ground in Moryn gekreuzt habe, war da relativ wenig los. 

An das Spiel hab ich gar keine Erinnerungen mehr. Der Gegner war Pogon II Barlinek und gedoppelt hatte ich das Spiel mit dem Derby zwischen Godkow und Cedynia. Letztere kamen damals sogar mit einer Handvoll Fans und stritten sich auch noch untereinander, sodass einer der Brigade unsanft die Faust seines Kumpels (?) zu spüren bekam. Aber die Fahne war für die Verhältnisse nett anzusehen. Bei einem Heimspiel erwischte ich Cedynia auch mal. Sie standen sie mit ca. 20 Leuten auf dem Hügel neben dem Stadion und zündeten diverse Sachen und warfen von dort aus Kassenrollen.

Heute war aber nicht Cedynia in Chojna, sondern Moryn und dort erwartete ich auch einen unterhaltsamen Nachmittag. Trotz relativ großem Zeitvorsprung, kam ich dann doch erst ca. 10 Minuten vor Anstoß an. Eintrittskarte gab es nicht, Geld wollte auch niemand. Man stelle sich das einmal bei uns in der 6. Liga vor. 350 Zuschauer wären für viele Vereine ein Grund Eintritt zu nehmen. Hier ticken die Uhren zwar auch schon westlich, aber in dieser Hinsicht zählt heute noch Lokalpatriotismus – Jeder, der für Odra ist, soll auch ins Stadion! Die Ordner am Eingang waren nur da um die ca. 100 Moryner auf die rechte Stadionseite und Odra auf die linke zu schicken. Das Stadion in Chojna ist so herrlich symmetrisch. Das Stadion verfügt auch über einen Käfig mit einem eigenen Eingang, aber bis auf Lechia Gdansk vor vielen Jahren hat den noch nie einer genutzt. Ohne den Käfig wäre das Stadion nur halb so schön. 

Als ich 2003 das erste Mal bei Odra war, gab es das Teil noch nicht einmal. Odra spielte damals gegen Arkonia und es bildete sich ein kleiner Haufen aus ca. 15 Kindern, die während der 90 Minuten relativ häufig etwas anzündeten und mit römischen Lichtern rumschossen. Heute waren im Heimfanblock schon einige mehr, welche beim Eintreffen mit Choreo-Vorbereitungen beschäftigt waren. Bei Moryn stellten sich 20 Jugendliche zusammen. Da waren auch zwei oder drei nette Mädels bei. Sogar zwei Fahnen hatten sie dabei. Bei Odra gab es nur eine grün-weiße Balkenfahne. Da hätte ich schon mindestens die des Pogon-Fanclubs erwartet. Weit und breit auch nichts von Debno zu sehen, obwohl sie auch gegrüßt wurden. Die Spieler laufen auf und die Show kann beginnen. Moryn zündet einige blaue und weiße Rauchgranaten. Auf der anderen Seite werden Luftballons gezeigt und ein Banner fordert Moryn zum Tanz auf. 

Beide Seiten gaben in den ersten Minuten alles. Bei Moryn wurde schon zeitig etwas nachgelassen, aber zwischendurch, wenn der Trommler loslegte, war wieder Musik drin. Odra zog seine Sache eigentlich ganz gut durch. Nach ein paar Minuten war dann Unruhe im Heimfanblock und eine Person springt über den Zaun, landet auf dem Platz und setzt sich auf die Trainerbank. Keine Ahnung, was in dem vorging, ein normaler Weg zum Spielfeld wäre auch möglich gewesen. Vielleicht wollte er wenigstens für einen Moment der Star sein. Danach zog Odra die Aufmerksamkeit auf sich. Zwei Böller fliegen. Einer detoniert hinter der Trainerbank und einer landet neben dem Coach der Moryner, der gleich wie von der Tarantel gestochen auf den Platz rennt und wild mit den Armen herumfuchtelt. Der Schiedsrichter lässt aber nicht mit sich reden. Nach fünf Minuten gab sich der Trainer geschlagen und das Spiel lief wieder. 

Natürlich wurde alles an Ordnungskräften (Ordner, Polizei und Ordnungsamt) um Odra gestellt. Halbzeitpause. In der zweiten Hälfte rauchte es wieder bei Morzycko und beide Seiten warfen Kassenrollen. Die Stimmung blieb konstant, da es im Spiel noch 2-1 für Moryn stand. Moryn also euphorisch und Odra hoffte, dass der Funke auf noch die Mannschaft überspringen würde. Das nahmen sie sogar wörtlich und zündeten Fontänen. Zwischen den Schlachtrufen dann ein Liedchen: „Es regnet unermüdlich, der Garten ist verwildert und wir sind schon einige schöne Jahre in diesem Krieg. Wir wollen nach Hause den Kamin heizen, den Hund füttern“. Dabei wurde „Hund“ dreimal aggressiv gegrölt und extrem betont. Und so ein Kriegslied von diesen relativ jungen Fans! Es muss irgendwie geholfen haben, denn in letzter Minute macht Odra den Ausgleich und Moryn ist bedient. Die Mannschaft ging auch gar nicht mehr zum Anhang, da dieser schon eingepackt hatte. Einer warf noch so eine Art weißen Bengaltopf, welcher ewig brannte – merkwürdiges Teil. Als alle Gäste schon weg waren, holte Odra die angekündigte blau-weiße Fahne heraus und zündete sie an. 

Kinderkram. Odra begab sich nun zur Kabine, um die Mannschaft zu feiern und Moryn zu provozieren, welche aber keine Regung zeigten. Die Abfahrt des Busses verzögerte sich, warum auch immer. Odra hatte schon das Stadiontor passiert und sieh an, sieh an, eine Handvoll Moryner pöbelt. Das ließ sich Odra nicht zweimal sagen und die Post ging ab. Nach einer halben Minute Boxkampf spielte das Ordnungsamt Ringrichter. Der größte Pöbler hatte auch das meiste einstecken müssen und saß nun am Boden. Die Odra-Fans waren alle nur so ca. 14 bis 16 Jahre alt. Da staunte ich nicht schlecht, dass die auf die schon ausgewachsenen Moryner gingen. Natürlich war Odra in der Überzahl, aber so deutlich hätte ich das Ergebnis von Odra nicht erwartet. Beim nur wenige Kilometer entfernten zeitgleichen Derby zwischen Schwedt und Templin war übrigens nicht annähernd soviel los!

Fotos: Michael

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

Artikel wurde veröffentlicht am
13 November 2020

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