Union gegen Union – oder auch ein Déjà-vu mit blauem Auge und Moral. Nach der letzten magischen und denkwürdigen Europapokalnacht gegen das Team von Ajax fieberte man also der Auslosung entgegen bzw. warte gespannt, wen man als nächstes hier in der in der Alten Försterei begrüßen dürfte - und das Los zeigte Royal Union Saint-Gilloise. Mein erster Gedanke war und man möge mir verzeihen: „Ach nö, warum die schon wieder?!“ Dies hatte im Großen und Ganzen drei Gründe. Zum einen, weil man diese schon in der Gruppenphase als Gegner hatte und zum zweiten, weil vom Namen her die Fallhöhe doch höher ist als z.B. gegen einen Gegner wie Arsenal, was mir aber dann doch irgendwie egal wäre.
Union Berlin vs. Royale Union Saint-Gillois: Wieder ein denkwürdiger EC-Abend
Der wichtigste Grund jedoch war die Erinnerung an den ersten Spieltag der Gruppenphase, als man eben genau gegen diesen Gegner und auf jene Spielweise traf, die eben genau die der Eisernen spiegelt und womit Union erfahrungsgemäß doch teilweise echt Probleme hat, was sich auch in diesem Spiel zeigte. Somit war es eben auch das Team von Saint-Gilloise, welches das einzige war, das Union in den letzten 22 Heimspielen knapp mit 1:0 schlagen konnte.
Trotzdem war die Vorfreude auf diese Partie natürlich riesig und es ging nach einem langen Arbeitstag gegen späten Nachmittag den kurzen Weg mit der Straßenbahn in Richtung Köpenick. Naja, zumindest sollte es von dort nur ein kurzer Weg mit der Straßenbahn sein, doch erneut brach pünktlich zum Heimspiel dort das Chaos aus, sodass diese irgendwo in der Altstadt von Köpenick nicht mehr weiterfuhr.
Aus zwanzig Minuten Fahrt mit der Tram inkl. Stau wurde ein rund einstündiger Weg inklusive Fußmarsch, bevor man letztlich eine halbe Stunde vor Anpfiff am schon recht vollen Stadion ankam und so sich seinen Stammplatz auf der Gegengerade suchte. Ach, und hatte ich erwähnt, dass ich gerne mal wieder einen Pokalabend bei trockenem Wetter sehen wollte? Tja, auch dieses Mal wurde es nichts daraus, denn kurz vor dem Spiel setzte erneut Regen ein, der allerdings durch die niedrigen Temperaturen zu einem passablen Schneegestöber werden sollte und bis zum Ende des Spiels auch nicht endete. Also auch hier alles wie üblich.
Union hat sich seitdem weiterentwickelt, man spielt weiterhin eine gute Saison, auch wenn man sich im letzten Auswärtsspiel bei den Bayern erstmals dieses Jahr geschlagen geben musste und auch seit drei Ligaspielen ohne Torerfolg ist. Nichtsdestotrotz liegt man weiterhin mit 44 Punkten aus 23 Spielen weiterhin auf einem guten dritten Platz bei acht Punkten Vorsprung auf Platz acht gut im Rennen um einen internationalen Platz, wobei bei fünf Punkten Rückstand aber nun auch hoffentlich das sinnlose Meisterschaftsgequatsche der Medien aufhört. Aber das hier war eine ganz andere Geschichte und so musste man auch alles aufbieten müssen, wollte man eine gute Vorlage für das Rückspiel in Belgien schaffen.
Aber ebenfalls eine mehr als gute Spielzeit spielen die Gäste von Royale Union Saint-Gilloise aus der Brüsseler Region, welche aktuell mit 59 Punkten aus 28 Spielen hinten dem Tabellenführer vom KRC Genk auf Platz zwei der belgischen Jupiler Pro League liegen und bei 14 Punkten Vorsprung auf Platz fünf bei noch sechs ausstehenden Spielen eigentlich schon fast für die Meisterschafts-Finalspiele planen können.
Aber auch diese hatten zuletzt ihre Schwächephase mit einem Unentschieden und drei Niederlagen in Folge, bevor man im letzten Heimspiel am letzten Spieltag gegen den Abstiegskandidaten KAS Eupen wieder gewinnen konnte. Im Pokal hingegen erreichte man das Halbfinale, wo man sich trotz knappen Hinspielsieg beim Rückspiel knapp nach Elfmeterschießen bei Royal Antwerpen geschlagen geben musste. Aber auch hier zeigte sich, dass trotz allem immer mit ihnen zu rechnen ist. Insofern würden sie wohl auch hier die erwartet schwere Nuss werden.
Auf ins Spiel! Und hier merkte man durchaus, dass Union einiges aus dem ersten Spiel gegen diesen Gegner machen wollte, denn die Gastgeber begannen hochmotiviert, übernahmen die Kontrolle und drängten die Gäste weit in die eigene Hälfte, was zu einigen doch recht guten Chancen führte. So rettete z.B. der RU-Torwart nach knapp zehn Minuten noch gerade in letzter Sekunde, als eine Union-Flanke erneut scharf in den Strafraum flog und ein Angreifer den Keeper mit einem tückischen Aufsetzer aus zehn Metern zu einer Flugparade zwang. Auch nach etwas mehr als einer viertel Stunde, war es erneut der belgische Keeper, der einen scharfen Kopfball im ersten Versuch zwar noch klären konnte, aber erst im Nachfasse, den Ball sicher hatte.
Nun wurden zwar auch die Gäste etwas mutiger, doch noch war zumindest in der Offensive nicht wirklich etwas zu erkennen und eine Führung der Heimelf wäre durchaus verdient gewesen. Nur leider wiederholte sich das Drama vom Gruppenspiel, denn erneut war es die Auswärtself, die diesmal wie aus dem Nichts in Führung ging, als ein RU-Angreifer einfach mal von der linken Strafraumkante abzog, der an sich nicht wirklich gefährliche Schuss aber durch einen eisernen Verteidiger eine völlig andere Flugbahn bekam und unhaltbar für den Keeper zur 1:0-Gästeführung im rechten Torwinkel einschlug.
Das Spiel auf den Kopf gestellt, brauchten die Berliner nun ein paar Minuten, um wieder in die Spur zu kommen, doch bald drängten sie wieder auf den Ausgleich und holten drei Minuten vor der Halbzeit ihrerseits einen Freistoß kurz vor der Strafraumgrenze heraus. Dieser war perfekt knapp über die Mauer geschossen und schlug ebenfalls sehenswert zum hochverdienten 1:1-Ausglich im linken Winkel ein. Da mehr aber nicht passieren sollte, blieb es zur Halbzeit bei diesem Spielstand, der doch im Grunde leicht schmeichelhaft für die Gäste, aber mit einem Tor aus einer Chance eigentlich auch wieder typisch Union war.
Auch die zweite Hälfte begann wie die erste schon begonnen hatte, und Union war am Drücker, doch erneut fehlte das letzte Quentchen Glück, um hier einen weiteren Treffer zu erzielen. Erneut waren es die Gäste, die das Spiel dieses Mal unter gütiger Mithilfe der eisernen Abwehr auf den Kopf stellten. Ballverlust nach einer knappen Stunde im Mittelfeld vom Unioner Kapitän und daraus resultierte eine Konterchance, bei welcher die Belgier doch sehr frei vor dem Schlussmann auftauchten und so ohne größere Probleme im eins gegen eins das 2:1 für Saint-Gilloise erzielten.
Aber wenn man eins den Hausherren attestieren muss, dann ist es die beeindruckende Moral, denn nun begann ein Sturmlauf der Eisernen gegen die Gäste, die nun mit einer gefühlten acht-eins-eins-Taktik hinten dicht machten und auf Konter lauerten. So kamen die Berliner zwar immer wieder zu an sich guten Chancen, doch scheiterte man immer wieder an der gut gestaffelten Abwehr und am Torwart. Nach 67 Minuten landete eine der zahlreichen Standardsituationen erneut im Strafraum der Gäste, wobei der Ball dort die Hand eines Verteidigers traf und die Heimelf vehement auf Handspiel reklamierten, doch der Schiedsrichter weiter weiterspielen ließ. Erst eine Minute später schaltete sich der VAR ein und entschied völlig zurecht auf Handelfmeter. Dieser wurde im Nachschuss zum verdienten 2:2 Ausgleich verwandelt.
War das Spiel bis dahin schon verrückt, so setzt sich der Wahnsinn fort, denn nur drei Minuten später war es wie schon beim zweiten Gegentor ein Konter, bei dem sich die Unioner Abwehr überrumpeln ließ, die Gäste in einer zwei gegen eins Situation vor dem Gehäuse der Eisernen auftauchten und erneut mit 3:2 in Führung gingen. Gefühlt drei Tore aus drei Chancen - so etwas nennt man wohl eiskalt.
Diese schnelle kalte Dusche hatte dann doch Folgen, denn obwohl Union weiter drückte und auf den Ausgleich spielte, ergaben sich nun auch für die Belgier weitere richtig gute Konterchancen, während der Heimelf in dieser Phase nicht wirklich etwas einfiel, um die gegnerische Abwehr zu durchbrechen. So drohte erneut eine Niederlage, bis ein durch die Gäste unfreiwillig verlängerter Ball aus der Hälfte der Hausherren bei einem eingewechselten Unioner landete und dieser eine Minute vor dem regulären Ende den Ball eiskalt zum vielumjubelten 3:3-Ausgleich im Tor der Belgier versenkte.
Auch der Schiedsrichter hatte offensichtlich seinen Spaß am Spiel und gönnte beiden Teams eine satte Nachspielzeit von sechs Minuten, bei der Union nun noch den Siegtreffer wollte, doch zweimal aus knappen Situationen scheiterte. Dann war Schluss und somit endete eine wieder einmal verrückte Partie mit einem für neutrale Fans sicher sehr unterhaltsamen 3:3-Unentschieden, welches für die Gastgeber zwar vom Spielverlauf vielleicht etwas glücklich, aber dennoch im Endeffekt völlig verdient ist gegen disziplinierte und kampfstarke Gäste, die eiskalt vor dem Tor agierten und somit wie erwartet zur harte Nuss für die Hausherren wurden. Union jedoch zeigte gerade in der Defensive bei allem Offensivdrang ungewohnte Schwächen in der Defensive. Und trotzdem sage ich, 50:50 im Rückspiel. Da ist definitiv noch alles drin, zumal sich im Gruppenspiel beim knappen 1:0-Sieg in Belgien gezeigt hat, dass man auch hier bestehen kann.
Ein paar Worte zur Kulisse: Erstmal war diese sowohl von der Heim-, als auch der von der Gästeseite ein würdiger Rahmen für dieses Spiel. Ein natürlich ausverkaufter Heimbereich und etwa neunhundert Gäste bildeten schon mal eine passenden Rahmen. Die Heimfans mit dem üblichen lautstarken und ständigen Dauersupport und einer großen Choreo auf der Waldseite sorgten auch gerade durch diesen Spielverlauf wieder einmal für eine absolute Gänsehautatmosphäre, während die Gästefans mit einer Pyro-Einlage zu Spielbeginn für ordentlich Nebel auf dem Spielfeld sorgten und auch ansonsten einen soliden Support hinlegten.
Fazit: Ein verrücktes Spiel, die wieder einmal fantastische Atmosphäre und dieses Stadion als Hexenkessel. Was gibt es Schöneres? Na ja, außer vielleicht ein Sieg. Aber ansonsten war es wieder einmal ein einfach nur fantastischer Abend, der hoffentlich zu weiteren europäischen Abenteuern führt!
Bericht & Fotos: Groundhopping Berlin und Co.
- Alte Försterei